Mord ist kein Hobby

„Gehört mein Name mir? Mein Gesicht? Was ist mit meinem Leben? Meiner Geschichte? Warum wird mein Name dafür verwendet, Ereignisse zu thematisieren, an denen ich nicht beteiligt war? Ich kehre immer wieder zu diesen Fragen zurück, weil andere fortfahren, mit meinem Namen, meinem Gesicht und meiner Geschichte ohne mein Einverständnis Geld zu machen.“
Die Frau, die diese Sätze im Sommer 2021 schreibt, heißt Amanda Knox und ist eines der bekanntesten Justizopfer der Gegenwart. Sie wurde fälschlicherweise des Mordes beschuldigt, dafür verurteilt und musste dafür ganze 4 Jahre zu Unrecht in einem italienischen Gefängnis verbringen. Weltweit stürzten sich Medien auf den Fall. Verfahrensinformationen wurden geleakt, es kam zu wilden Spekulationen und Vorverurteilungen. Amanda Knox wurde vielfach herabgewürdigt und sexualisiert. Eine italienische Journalistin nutzte Auszüge aus den beschlagnahmten Notiz- und Tagebüchern von Knox, um mit ihrer Hilfe ein Buch zu fabrizieren, in dem sie über biografische und psychologische Detailfragen mutmaßte oder sie gleich einfach erfand. Nach ihrer Verhaftung wurde sie von Gefängnismitarbeiter*innen dazu gebracht, eine Liste ihrer Sexualpartner zu erstellen, indem man ihr vorlog, sie sei HIV-positiv und müsse zum Schutz der anderen mit den Behörden kooperieren. Anschließend wurde die Liste der Presse zugespielt. Nach ihrer Freilassung wurde sie jahrelang von Paparazzi verfolgt und erhielt Todesdrohungen. Weil es für sie keine Möglichkeit gab, sich vor der Monstrosität der Ereignisse zu verstecken, entschied sie sich schließlich dafür, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Und sie begann damit, Leute dafür medial zur Rechenschaft zu ziehen, die mit ihrem Namen und auf ihre Kosten ungefragt Geld machten. 2021 waren das die Macher*innen des Kinofilms Stillwater mit Matt Damon, der sich ziemlich offenkundig an der Vorlage bedient. Was Knox hier und an anderer Stelle immer wieder kritisiert, ist das Genre des True Crime. Wahre Verbrechen also, die in den letzten Jahren insbesondere im Podcast-Format immer mehr Fans gewonnen haben. Weibliche Fans, um genau zu sein. Denn obwohl Podcasts mehrheitlich immer noch von Männern konsumiert werden, liegen Frauen in Sachen True-Crime-Podcasts eindeutig vorn. Es ist ein Trend, der immer mehr an Fahrt aufnimmt, was dazu führt, dass ein Format nach dem anderen entwickelt wird, weil alle etwas vom Kuchen abbekommen wollen.

Die Frage, warum sich vorwiegend Frauen für True Crime begeistern, wird schon länger gestellt. Auch und gerade unter feministischen Gesichtspunkten.

Denn auf der einen Seite geht es um die Ermächtigung und die Rechte von zumeist weiblichen Opfern und ihrer Angehörigen. Das Leid, das beispielsweise Amanda Knox zugefügt wurde, ist real und kein Selbstbedienungsladen, in dem man sich einfach etwas nehmen kann, um andere zu unterhalten und damit Geld zu verdienen. Aber genau das wird getan. Zum Beispiel durch den Podcast Reich, schön, tot, auf den hier schon deshalb nicht verlinkt wird, weil in der entsprechenden Folge skrupellos auf ein obskures Forum verlinkt wird, das widerrechtlich Privataufnahmen der in den Fall involvierten Personen zeigt. Aber offenbar können das die beiden Podcasthosts Nadine und Susanne schon mal machen, weil sie „ein Faible für die verrückte Glitzerwelt haben, in der Glamour und Grabstein manchmal ganz nah beieinander liegen“. Schließlich geht es ja um einen Podcast „über wahre Verbrechen, in denen die reichen, berühmten und schönen Menschen dieser Welt ihre oft dramatischsten Hauptrollen spielen“.

Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die sich gegen die Kritik am True Crime Genre verwehren, weil es ein Merkmal des Patriarchats sei, dass hier einmal mehr Frauen das Recht auf ihre eigenen Entscheidungen abgesprochen werden soll.

Ich bin ja ansonsten wirklich nicht schüchtern, wenn es darum geht, dem Patriarchat alles Mögliche anzulasten, aber das ist schon eine ziemlich dreiste Verdrehung der Tatsachen. Das Problem bei True Crime ist nicht, dass es sich um eine Art kulturelle Geschmacklosigkeit handelt, die Frauen madig gemacht oder gar verboten werden soll. Das wäre in der Tat mindestens so kritikwürdig wie das Abtun sogenannter „Trivialliteratur“ als „Frauenunterhaltung“ und damit minderwertig. Hier zeigt tatsächlich das Patriarchat seine hässliche Fratze, indem es die Interessen von Frauen als belanglos und banal inszeniert, um eine kulturelle und intellektuelle Entmündigung vornehmen zu können: Lies ruhig weiter deine Arztromane, Schätzchen, große Literatur ist sowieso nichts für dich. Das Problem ist, dass die Angehörigen der Opfer von Gewaltverbrechen (oder im Fall von Amanda Knox von Justizskandalen rund um einen Mord) es nachvollziehbarer Weise womöglich nicht besonders schätzen, wenn ihr Leid und das Leiden der Opfer kapitalisiert und vermarktet werden.

Vielleicht sollte man sich über True Crime ein paar mehr Gedanken machen als „Das Patriarchat will uns unser Unterhaltungsformat wegnehmen“, wenn das Opfer eines Messerangriffs schreibt, dass es lieber noch einmal niedergestochen werden würde, als ungefragt einen Podcast über sich ertragen zu müssen. Zweifellos ist True Crime nicht gleich True Crime und es gibt Formate, die sich mit der beschriebenen Problematik sehr intensiv auseinandersetzen.

Das ändert aber nichts daran, dass True Crime ein hochproblematisches Genre ist. Ein Genre, bei dem man sich unter anderem fragen sollte, wieso es eigentlich mehrheitlich von weißen Frauen produziert und konsumiert wird, während es sich dabei um weiße Frauen als Opfer dreht. Und was das alles wohl mit dem Missing white woman syndrome zu tun haben könnte – also dem Umstand, dass überproportional häufig über weiße Frauen aus der Mittelschicht als Opfer von Gewalttaten berichtet wird, weil die Gewalt an Women of Color nicht so berichtenswert erscheint.

True Crime ist in seiner schlechtesten Form eine Mischung aus profitorientierter Opferexploitation, rassistischer Fallhöhenkonstruktion (nach der weißes Leben höherwertig ist) und Copaganda, die Polizeiarbeit aufwertet, statt sie kritisch zu hinterfragen. Es ist mehr als angebracht, damit ein Problem zu haben. Sich diese Problematisierung mit dem Hinweis darauf zu verbitten, dass es sich bei dem Publikum mehrheitlich um Frauen handelt, hat nichts mit Feminismus zu tun. Im Gegenteil: Es blendet die Lehren der Intersektionalität aus, um sich ohne Konsens durch das medial aufbereitete Leid realer Personen unterhalten zu lassen. Niemand hat das Recht, dies ungestört und unkritisiert zu tun – auch Frauen nicht.

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Bildquelle: Cole Keister / unsplash