„Sex-Skandal“ als Klick-Köder

TW: sexualisierte Gewalt

Sex-Skandal – das klingt nach Groschenroman, nach Blowjob in der Besenkammer. Vielleicht ein bisschen anrüchig, vielleicht ein bisschen aufregend. Doch dass Medien alles Mögliche unter dem Begriff „Sex-Skandal“ zusammenfassen, ist ein großes Problem. Denn oft geht es in Wirklichkeit um sexualisierte Gewalt. Und die wird dadurch verharmlost und unsichtbar gemacht.  

Laut Duden ist ein Skandal, ein „Geschehnis, das Anstoß und Aufsehen erregt“. Anstoß hat in diesem Zusammenhang mit Moralvorstellungen zu tun. Also damit, was die Gesellschaft als okay und nicht so okay einstuft.  

Definition von „Skandal“ laut Duden.de

Bei einem Sex-Skandal handelt es sich also um Sex plus verletzte Moralvorstellungen. Alles, was abseits der akzeptierten Norm liegt und im weitesten Sinne interessant ist. Zum Beispiel dann, wenn Prominente beteiligt sind. 

Wenn Medien diesen Begriff verwenden, geht es aber auch um Reichweite. Also darum, möglichst viele Lesende zu erreichen, möglichst viele Klicks zu bekommen. Skandale interessieren viele Menschen, weil sie auf diesen kleinen Schadenfreude-Neugier-Punkt in uns drücken. Um Aufmerksamkeit zu erreichen, wird also alles Mögliche zu einem Skandal gemacht. 

Dadurch werden Grenzen zwischen Sex, Machtmissbrauch, Übergriffen und Gewalt verwischt. Und das lässt sexualisierte Gewalt wie ein sogenanntes „Kavaliersdelikt“ wirken. Also eine Aktion, die zwar nicht ganz okay, aber auch nicht wirklich schlimm ist. 

Was ist denn eigentlich sexualisierte Gewalt? 

Laut Gewaltinfo.at ist sexualisierte Gewalt „… ein Akt der Aggression und des Macht­missbrauchs, nicht das Resultat unkontrollierbarer sexueller Triebe.“ 

Und das Bundesfamilienministerium schreibt: „Sexualisierte Gewalt bezeichnet jeden Übergriff auf die sexuelle Selbstbestimmung…  Sexualisierte Gewalt wertet Menschen durch sexuelle Handlungen oder Kommunikation gezielt ab, demütigt und erniedrigt sie.“

Es geht bei sexualisierter Gewalt also nicht um Lust, schon gar nicht um einvernehmlichen Sex. Sondern um Macht und Erniedrigung. Das ist ein wichtiger Unterschied. Genau dieser Aspekt fällt aber in Sex-Skandal-Geschichten oft weg. Weil es dann nicht mehr auf vermeintlich unterhaltsame Weise schockierend wäre, sondern erschütternd, belastend und schwer verdaulich.
Zudem wird bei der unkorrekten Nutzung des Begriffs Sex-Skandal der Eindruck erweckt, es gehe um einzelne Vorfälle von besonderer Skurrilität oder Interessantheit; hierbei wird komplett unter den Teppich gekehrt, dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft strukturell verankert ist und entsprechend als gesamtgesellschaftliches Problem behandelt werden muss.

Hier ein konkretes Beispiel – von denen sich leider sehr viele finden – für eine hoch-problematische Vermischung.
In einem Esquire-Artikel aus Januar 2022 mit der Überschrift „Weinstein, Clinton und Becker – die bekanntesten Sex-Skandale der Welt“ steht: „Der Sündenfall, in einigen Fällen sogar eine Straftat, war für zahlreiche Männer allerdings meist nur ein Stolperstein…Kaum eine Frau, kam bei den Sexskandalen gut weg, selbst wenn die Affäre einvernehmlich war.“ 

Aber Sex-Skandal, Sündenfall, Straftat, Affäre – das sind alles Dinge, die keinesfalls unter einem Schirm zusammengefasst werden dürfen. Zudem wird in dem Text auch der Jeffrey-Epstein-Fall als Sex-Skandal aufgelistet. Über eine der Betroffenen, Virginia Roberts Giuffre, heißt es: „…Prinz Andrew, einer der Männer, die mit ihr Sex hatten als sie erst 17 Jahre alt war…“ Aber auch beim Epstein-Fall geht es nicht um einen Sex-Skandal – sondern um kommerzialisierte sexuelle Ausbeutung gigantischen Ausmaßes.
Trotzdem wurde dieser Fall immer wieder als „Sex-Skandal“ beschrieben, und zwar von so gut wie allen großen Medien.

Es braucht hier in den Redaktionen dringend Sensibilisierung dafür, wie verantwortungsvoll über sexualisierte Gewalt berichtet werden kann und wie Betroffene nicht auch noch durch verharmlosende oder effektheischende Berichterstattung weiter herabgewürdigt und traumatisiert werden.

Auf der Website der Welt etwa findet sich ein Artikel, in dem sexualisierte Gewalt an einer 14-jährigen als „Sexskandal“ betitelt wird. Der Artikel ist von 2017, aber immer noch so online aufzufinden. Ein besonders erschütterndes Beispiel dafür, wie Medien sich ihrer Verantwortung entziehen.
Ein weiteres Beispiel: Wenn man „Sex-Skandal“ in der Google-News-Suche eingibt, tauchen Meldungen auf wie diese: „Sex-Skandal am Oberlandesgericht… Vorführbeamte am OLG sollen in den Vorführzellen Sex mit Gefangenen gehabt haben.“ Beim weiteren Lesen stellt sich heraus, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs läuft. Auch das ist kein Sex-Skandal – das ist sexualisierte Gewalt.

Das passiert weltweit, jeden Tag, in allen Umfeldern und sozialen Schichten. Sexualisierte Gewalt ist ein systemisches Problem in patriarchalen Gesellschaften. Sie ist keine Unterhaltung. 

Verantwortung von Medien und ekelhafte Sensationsgier

Medien haben deshalb die Verantwortung, das auch klar so zu benennen. Denn sie gestalten das gesellschaftliche Klima mit. Wie sie über (sexualisierte) Gewalt berichten, das beeinflusst, wie die Gesellschaft diese Vorfälle wahrnimmt und einordnet. Das hat zum Beispiel die Studie „Rezeption medialer Frames in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen“ ergeben.

Wenn also sexualisierte Gewalt in Medienberichten zum Skandal herabgestuft wird, dann werden solche Übergriffe weniger ernst genommen und das Ausmaß wird unsichtbar gemacht.

Die Verharmlosung von sexualisierter Gewalt in den Medien ist bloß eine Seite. Dazu kommt noch die Ausschlachtung von Betroffenengeschichten – die Skandalisierung von Menschen, die sexualisierte Gewalt erleben mussten. In möglichst drastischer und dramatischer Berichterstattung ohne Rücksicht auf die Traumatisierung. 

Gewalt heißt nicht ohne Grund Gewalt

Zusammengefasst: Sexualisierte Übergriffe sind kein einvernehmlicher Sex. Also geht es dabei nicht um einen Sex-Skandal – sondern um Gewalt. 

Wenn wiederum Leute auf Augenhöhe einvernehmlich Sex haben und dabei „erwischt“ werden, dann geht das bis auf die Beteiligten niemanden was an. Egal, ob in der Besenkammer oder im Teppichladen. Auch, wenn sie prominent sind. Es sei denn, die Verbindung betrifft öffentliches Interesse in Politik oder Wirtschaft. Also zum Beispiel Steuergelder, Korruption und Kungelei. Da ist dann aber Amts- oder Machtmissbrauch das Thema, nicht der Sex. 

Und das ist definitiv etwas anderes, als wenn Menschen sexuell ausgebeutet, zu sexuellen Handlungen gezwungen oder vergewaltigt werden.  

Deshalb ist es so wichtig, dass sexualisierte Gewalt auch so benannt wird. Gewalt klingt schließlich ganz anders als Skandal. Und zwar aus gutem Grund. 

Hier könnt ihr euch unser Video zum Thema ansehen:

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Weiterführende Links und Infos:

Hinweis zum Begriff „sexualisierte Gewalt“:
Wir nutzen den Begriff „sexualisierte Gewalt“ anstelle von „sexueller Gewalt“, um deutlich zu machen, dass es sich um Gewalt und nicht um Sexualität handelt.

Studie Rezeption medialer Frames in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen: https://www.ab-jetzt.org/blog.html#bewusstsein&wer-spricht-hat-recht-studie-bestatigt-einfluss-von-berichterstattung-uber-gewalt-gegen-frauen

Gewaltinfo.at über sexualisierte Gewalt: https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/formen/sexualisiert/

Bundesfamilienministerium zu Formen der Gewalt: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642

UN-Bericht über Gewalt gegen Frauen: https://unric.org/de/wp-content/uploads/sites/4/2017/02/nr4.pdf

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich“ oder „männlich“ benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

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Bildquelle: unsplash / No Revisions