Sollten Frauen beim Flirten die Initiative ergreifen?

Manchmal sind es gerade die gar nicht mal so schlimmen Texte, die den eigenen Puls derartig hochtreiben, dass man schnellstmöglich ein Ventil finden muss, um Dampf abzulassen. Manchmal ist es nicht eine krasse aber eben auch vorhersehbare Bemerkung darüber, dass Frauen an den Herd gehören, die einen verzweifeln lässt, sondern die Ablenkungsmanöver und Relativierungen von jemandem, der „total für Gleichberechtigung ist“. Der dann aber auch erzählt, warum Kochen halt so auf ganz persönlicher Ebene nicht sein Ding ist, aber bei der Frau ein total süßer Liebesbeweis.

So ist es mir bei der Lektüre eines Artikels auf stern.de gegangen, in dem die Verhaltenstherapeutin Julia Peirano einer Frau dazu rät, auf gar keinen Fall den ersten Schritt bei einem Mann zu machen, an dem sie Interesse hat.

Zweifellos existieren dutzende Texte, die eine viel schlimmere Ansammlung von Halbwahrheiten, Übergriffigkeiten und Absurditäten darstellen als dieser Ratschlag. Trotzdem oder womöglich genau deswegen ist Peiranos Beitrag mit seinen „Ich bin ja gar nicht altmodisch“ und „Das ist eben Biologie“ Beschwichtigungen an perfider Gruseligkeit das Schlimmste, was ich seit einer ganzen Weile gelesen habe. Und das hat Gründe.

1.
Die Totalität der Einschätzung. Peirano schreibt Sachen wie „Die Frau kann und sollte dabei abwarten und sich mit ihrer Initiative zurück halten“ und entwirft damit ein So und nicht anders Szenario. Männer sind immer so und Frauen haben deshalb so zu sein. Folgen sie dem nicht, gibt es Probleme. Das ist genau das, was ich an anderer Stelle mal binnengeschlechtliche Gleichmacherei genannt habe. Eine Technik, der sich ausgerechnet diejenigen oft bedienen, die DEM Feminismus gerne unterstellen, er würde die Unterschiede zwischen Männern und Frauen verwischen oder verkehren wollen. Stattdessen sind Frauen und Männer immer verschieden und zwar immer auf die gleiche Art und Weise. Nach Peiranos Logik müssten lesbische Frauen außerstande sein, miteinander anzubandeln – es sei denn eine spielt dabei „den Mann“. Das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass es dafür einen eigenen, sehr langen Text bräuchte.

2.
Die Biologismen:
Peirano führt das Balzverhalten in der Tierwelt an, um Männern unwiederbringlich die Rolle des Jägers zuzuschreiben, und Frauen die Rolle der Gejagten.

Um das zu verstehen, brauche mal bloß mal ein Video dieser oder jener Vogelart zu schauen und dann wäre alles klar. Ist es aber nicht. Denn diese Beispiele sind bewusst ausgewählt, um eine Vorannahme zu bestätigen. Stattdessen könnte man nämlich zum Beispiel auch darüber sprechen, dass ein farbiges Gefieder bei Vogelmännchen und auch bei -weibchen noch viele andere Ursachen hat. Darüber, dass manche Gattungen gemeinsam balzen und es neben dem Balzen auch noch das Lahnen gibt. Und darüber, inwieweit allein die Unterschiede im Paarungsverhalten zwischen gewöhnlichen Schimpansen und Zwergschimpansen (Bonobos) so groß sind, dass man diese anekdotischen Tiervergleiche besser sein lässt.

3.
Der soziale Anachronismus. #MeToo, #flirtennachbravo, war da nicht mal was?

Wollten wir uns nicht mehr Mühe dabei geben, geschlechtergerecht und wertschätzend miteinander zu flirten? Und wenn man wirklich einen Blick auf die sozialen Flirtgepflogenheiten werfen will, warum muss der so unkritisch und eindimensional ausfallen?

4.
Das Männerbild. “ Wenn einem Mann eine Frau gefällt, wird er sich etwas ausdenken, um sie kennen zu lernen.“ schreibt Peirano. Falls er das nicht tut, ist sie „entweder nicht sein Typ“ … „oder er hat Bindungsstörungen“ … oder er ist „grundsätzlich zögerlich, passiv und bequem“. Klar, das muss es sein. Immer. Männer können ja qua Geschlecht nicht schüchtern, befangen oder ungeschickt sein. Sie sind nicht in der Lage, diese unglaubliche Mischung aus Erleichterung und Glück zu empfinden, wenn ein Mensch, den man völlig außerhalb seiner Reichweite gesehen hat, den ersten Schritt macht und Interesse zeigt. Männer fühlen sich dann um die Jagd betrogen. Frau soll gefälligst Beute sein.

Julia Peirano betont, dass sie nur die Überbringerin dieser Nachricht ist und es sich auch anders wünschen würde. Aber das mag man ihr angesichts ihrer unkritischen Begeisterung für die angebliche Natürlichkeit der Dinge nicht so recht abnehmen.

Außerdem scheint ihr nicht klar zu sein, dass sie im Prinzip nur das Komplementärprogramm zum Pick-up-Artist beschreibt: Frauen, die mit sich machen lassen, weil es ihrer Rolle entspricht. Weil sie in einer Gesellschaft leben, die Männer und Frauen mehrheitlich in genau die Schubladen steckt, die Peirano hier aufmacht. Deshalb ist es auch gut möglich, dass ihr Ratschlag funktioniert. Darüber sollte man sich nicht hinwegtäuschen. Wenn alle holzschnittartig aufeinander zugehen, docken sie einfacher aneinander an. Nur sind es dann eben Holzschnitte und nicht die zugrundeliegenden Individuen.

Frauen können beim Flirten die Initiative ergreifen oder sie können es lassen – genau wie Männer. Sie können darauf warten, dass ein Mann Interesse bekundet und in ihrer „passiven Rolle“ verharren, oder es mit dem nächsten Tindermatch nach 2 Minuten krachen lassen und daraus eine Langzeitbeziehung basteln – oder auch nicht. Keine Vorgehensweise ist automatisch von Erfolg gekrönt. Einige können und werden aufgrund gesellschaftlicher Konventionen womöglich gegen sie verwendet werden. Aber das ist in nahezu allen Zusammenhängen möglich.
Das mit dem Flirten kriegen wir hin, wenn wir nicht automatisch auf die hören, die uns raten, es so zu machen wie immer. Ob Frauen erobert werden wollen oder nicht, bestimmten sie selber. Das gilt auch für Männer. Und falls sich mal niemand aufraffen kann, weil einen Korb zu kriegen sich einfach für jeden und jede ätzend anfühlt, dann ist das auch ok.

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