Marlies Krämer ist unsere absolute Heldin. Auf den dpa-Pressefotos, die gerade durchs Netz kursieren, sitzt die 80-Jährige Sozialwissenschaftlerin fröhlich grinsend vor Aktenbergen auf dem Sofa: Sie wird sich nicht abbringen lassen. Sie ist mit ihrer Klage gegen das generische Maskulinum in Bankformularen jetzt am Bundesgerichtshof angekommen: Jetzt geht es erst richtig los!
Nach 100 Jahren Wahlrecht für Frauen erntet man nach wie vor ein Augenrollen, wenn man moniert, dass Frauen in den meisten Anreden noch immer nur „mitgemeint“ sind. „Mama warum sprichst du immer von unseren ‚Erziehern‘ in der Kita?“, fragte meine ältere Tochter mich vor 11 Jahren. „Wir haben doch nur einen männlichen und viele weibliche Erzieherinnen! Da ist doch nur ein Mann bei!“. Meine Tochter war damals vier Jahre alt und ich schon lange Feministin, aber das mit dem Pochen auf gendergerechte Sprache nahm ich noch nicht so streng. Ich kam frisch aus Großbritannien, war im englischsprachigen Studium zur Feministin geworden und hatte das Thema generisches Maskulinum nicht ganz oben auf der Liste. Im Gegenteil: Am Anfang meines Studiums fand ich das typisch deutsch-feministische Beharren auf das Binnen-I ungemein anstrengend. Alle Argumente, die ich damals hatte, lese ich gerade bei uns auf Facebook: Dass es doch so hässlich sei, dieses gendern. Dass wir uns nicht so anstellen sollen und es doch wichtigere Probleme gäbe. Dass es doch nur eine innere Definitionssache sei, ob man sich mitgemeint fühle oder nicht.
Meine Kinder überzeugten mich schnell eines Gegenteils. Mit spitzen Ohren hörten sie Ungereimtheiten und fragten sofort nach: „Gibt es auch Polizistinnen, Mama? Können Frauen auch ‚Politiker‘ werden? Waaas, es gibt auch männliche Raumpflegerinnen?“ Was die Kinder ungemein verwirrte hatten wir Großen schon längst gelernt hinzunehmen und die Klappe zu halten. Denn, wie eine Frau auf Facebook schrieb: „Wir wollen doch die Männer als Feministen gewinnen, aber die finden das Anfeinden der deutschen Sprache im Großteil doof. Sollten wir das also nicht lieber zurückstellen und uns den wichtigen Dingen zuwenden?“
Wir finden Sprache unglaublich wichtig und applaudieren Marlies Krämer deshalb von ganzem Herzen, die nicht mehr als „Kunde“ im Sparkassenformular angesprochen werden möchte, sondern als Kundin. Wir bei Pinkstinks nutzen das Sternchen, weil wir es am sinnvollsten und attraktivsten finden, sind aber für eine Debatte, die Marlies Krämers Klage lostreten wird, sehr offen. „Kläger*innen“ umfasst die männliche und die weibliche Form und wird mit einer kurzen Pause nach dem r gesprochen – eine Pause, die viele jüngere, gendersensibilisierte Menschen jeden Geschlechts locker beherrschen und nie vergessen. Auf wie vielen Konferenzen und Veranstaltungen habe ich gehört, wie eine ganze Generation sehr selbstverständlich das Sternchen mitspricht, das in unzähligen Kommentaren auf Facebook als unmögliche Verunstaltung der deutschen Sprache beschrieben wird. Gerade die Pause wirkt für mich immer respektvoll – wir könnten auf dem generischen Maskulinum enden, denken aber weiter. Weil es nach 2000 Jahren Sprachgeschichte und ein paar Jahrzehnten Feminismus an der Zeit ist, inklusiv zu sprechen.
Maria Wersig, die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, fragte treffend in der Süddeutschen Zeitung: Wer denkt bei „Wer ist hier Bankdirektor?“ an eine Frau? Die Frage „Wer ist hier Bankdirektor*in?“ ebnet einer Gegenwart, in der es selbstverständlich ist, dass auch Frauen Bankdirektorin sein können, den Nährboden. Nur mit Sprache kommt auch Veränderung. Zum Glück ist es inzwischen genauso verpönt, Schokoküsse als „Mohrenköpfe“ zu bezeichnen, wie in unserem Video „NotHeidisGirl“ nachzuzählen, wie viele dunkelhäutige Mädchen von der Presse als „Hamburgische Schülerinnen“ bezeichnet wurden. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders. Beides.
Deshalb ein Riesenhoch auf die tolle Frau, die mit Inbrunst die Behörden nervt, und hoffentlich – und leider für die Institutionen, aber die IBAN-Einführung war sicher schlimmer – ein Administrationschaos startet. Bis wir uns endlich geeinigt haben: Auf Unterstrich, Sternchen oder was auch immer. Nur nicht mehr rein männlich.
Ich kann dennoch die jungen Frauen, die es völlig ok finden, als „Studenten“ angesprochen zu werden, verstehen: Auch ich wollte lange nicht als Frau angesprochen werden. Ich wollte, dass das alles weg ist: Der Feminismus und seine ständige Ermahnung, dass wir noch nicht gleichberechtigt seien. Widde, widde, wie es mir gefällt: Wenn man sich einfach als mitgemeint definierte, war man so mächtig wie die Kerle. Ich habe noch ein Jahrzehnt gebraucht um zu verstehen, dass das leider nicht so funktioniert – und dass, als Frau angesprochen zu werden, nicht bedeutet, dass ich „Opfer“ und „weiblich“ zu sein habe. Aber dazu gerne ein andermal.
Egal wie: 2018 wird „mitgemeint“ abgeschafft! Das ist unser Ziel. Go, Marlies, go!
Lieben Gruß, eure Stevie
Aktualisierung 21.02.2018: Wir sind inzwischen auf Quellenmaterial (siehe Kommentare) hingewiesen worden – das wir bei unserer Recherche zu Marlies Krämer nicht entdeckt hatten – das nahelegt, dass Marlies Krämer verallgemeinernd über den Islam spricht und ihn mit Islamismus gleichsetzt. Davon möchten wir uns abgrenzen sowie von jeglich „heldinnenhaftem“ hierin. Ihr Engagement bezüglich der gendergerechten Sprache bleibt bemerkenswert.