Wie sollten Medien über Gewalt gegen Frauen berichten?

TW: Gewalt, Mord

Macht es einen Unterschied, wie Medien über Gewalt gegen Frauen schreiben? Ja, das tut es. Denn Medien beeinflussen, wie Gewalt gegen Frauen wahrgenommen wird. Was haben zum Beispiel „Beziehungstragödien“, „Verbrechen aus Leidenschaft” und „Eifersuchtsdramen“ gemeinsam? In den allermeisten Fällen wurde dabei eine Frau von einem Mann ermordet. Solche indirekten Formulierungen verwischen aber, wer da wen getötet hat. Damit verharmlosen sie das, was dahinter steckt: Femizide.

Für den Begriff Femizid gibt es verschiedene Definitionen. Die Soziologin und Aktivistin Diana Russell beispielsweise beschreibt Femizid als die frauenfeindliche Tötung von Frauen durch Männer.

Dabei ist nicht das biologische Geschlecht an sich das Entscheidende – sondern, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts in der Gesellschaft weniger Macht und Wert haben als Männer.

Das Wort Feminizid (mit n) gibt es auch. Es wird benutzt, wenn es um die Verantwortung des Staates geht. Also darum, dass der Staat nicht angemessen auf Morde an Frauen reagiert und die Täter häufig milde bis gar keine Strafen bekommen.

Femizide sind überall auf der Welt ein Problem: Allein im Jahr 2017 wurden laut UN weltweit über 50.000 Frauen und Mädchen von (Ex-)Partnern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht. Und laut dem Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein versucht allein in Deutschland jeden Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten.

Die tödliche Gewalt gegen Frauen auf der ganzen Welt hat also ein unglaubliches Ausmaß. Trotzdem finden verharmlosende Bezeichnungen für Femizide auch im Jahr 2021 noch immer regelmäßig in ihren Weg in Berichte über solche Fälle wie die interaktive Karte von Gender Equality Media e.V. mit Fällen in Deutschland seit 2020 anschaulich zeigt.

So sieht die Karte aus:

„(sexualisierte) Gewalt gegen Frauen in 2020 und die Berichterstattung darüber“ – Screenshot vom 25.10.21

Das hat weitreichende Folgen. Denn Medien gestalten das gesellschaftliche Klima mit. Wie sie über Vorfälle berichten, beeinflusst, wie die Gesellschaft diese Vorfälle wahrnimmt und einschätzt. Und dadurch auch, wie Justiz und Polizei mit solchen Fällen umgehen. Das ist eine große Verantwortung.

Die deutsche Presseagentur (dpa) – ein Nachrichtendienst, von dem viele Zeitungen ihre Informationen bekommen – hat deshalb Ende 2019 entschieden, auf Ausdrücke wie „Beziehungsdrama“ und „Familientragödie“ zu verzichten. Vorab hatte sich Gender Equality Media e.V. in einem offenen Brief an die dpa gewandt.

„Drama und Tragödie rücken Mord und Totschlag in die Nähe eines schicksalhaften Geschehens …“ schrieb der dpa-Nachrichtenchef auf Twitter:

Solche Formulierungen verharmlosen (tödliche) Gewalt gegen Frauen durch aktuelle oder ehemalige Partner. Das fällt beim genaueren Hinsehen auch auf. Beispiel gefällig? „Häusliche Gewalt“ geht gar nicht vom Haus aus. Sie passiert auch nicht immer im Zuhause. Doch männliche Gewalt gegen eine Frau wird durch die Wahl so eines Begriffs unsichtbar. So werden Täter von ihrer Verantwortung befreit.

Und das wiederum verschleiert die dahinter liegenden Strukturen in der Gesellschaft, die diese Gewalt ermöglichen und fördern.

Brutales Patriarchat

Auch, wenn das Tatmotiv selbst nicht Frauenhass ist, spielt patriarchale Gewalt bei solchen Taten eine Rolle. Denn im Patriarchat haben Männer Kontrollverlangen und Besitzansprüche an Partnerinnen. Häufig kommt es deshalb zum Beispiel bei oder nach Trennungen zu Femiziden.

„Alle Formen von Gewalt gegen Frauen sind eingebettet in patriarchalische Kontroll- und Dominanzmuster“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle laut Deutschlandfunk Kultur. Diese Muster haben viele Jungen und Männer im Laufe ihres Lebens beobachtet, gelernt und verinnerlicht. Deshalb sind sie größtenteils unbewusst.

Alle Formen von Gewalt gegen Frauen sind eingebettet in patriarchalische Kontroll- und Dominanzmuster

Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle bei Deutschlandfunk Kultur

Gewalt gegen Männer durch Frauen gibt es auch. Sie kommt allerdings viel seltener vor und wird dann auch weniger gemeldet und angezeigt, weil die Betroffenen sich oft sehr schämen. Auch das hat mit den Geschlechterrollen im Patriarchat zu tun. Die geben nämlich vor, dass Männer stets stark und mächtig sein und immer die Kontrolle haben sollen. Wenn ein Mann von seiner Partnerin geschlagen wird, ist das doppelt schambehaftet.

Selbst schuld?

Die Studie „Rezeption medialer Frames in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen“ hat untersucht, wie sich verharmlosende Formulierungen in Berichten über Gewalt gegen Frauen auswirken. Ergebnis: Es macht einen großen Unterschied, wie Medien darüber schreiben.

Die Befragung von über 700 Teilnehmenden hat gezeigt, dass die Perspektive auf eine Tat bestimmt, wie die Lesenden sie einschätzen.

Wenn ein Bericht also die Sichtweise des Täters einnimmt („Er war eifersüchtig auf ihren neuen Freund“), dann haben Lesende mehr Verständnis für den Mord. Egal, wie blutig die Tat war.

Und bei verharmlosenden Begriffen empfinden sie weniger Mitgefühl für die getöteten Frauen – sie geben ihnen sogar eine Mitschuld. Es kommt dann eher zum Victim Blaming, also zur Täter-Opfer-Umkehr. Zum Beispiel in die Richtung von: „Wenn sie ihn nicht so eifersüchtig gemacht hätte, dann hätte er sie vielleicht nicht getötet.“ Dabei ist das natürlich kompletter Unfug.

Bei verharmlosenden Begriffen empfinden sie weniger Mitgefühl für die getöteten Frauen – sie geben ihnen sogar eine Mitschuld.

Umgekehrt führt jedoch eine gewaltsensible, geschlechtergerechte Sprache in der Berichterstattung dazu, dass Lesende mehr Mitgefühl mit Betroffenen haben. Sie geben dem Täter dann mehr Verantwortung für seine Tat. Außerdem erkennen sie die strukturelle Gewalt gegen Frauen eher und verstehen sie besser.

Deshalb ist es so wichtig, Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch genau so zu bezeichnen, die Taten und Täter klar zu benennen. Und den Betroffenen keine indirekte Mitschuld zu geben, indem verharmlosende Formulierungen benutzt werden.

Ein Mord an einer Frau ist kein „Beziehungsdrama“, keine „häusliche Tragödie“. Angemessene Begriffe sind Frauenmord oder Tötung von Frauen. Denn Mord ist Mord und Femizid ist Femizid.

Mehr Informationen und weiterführende Links:

„Rezeption medialer Frames in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen“-Studie vom Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein e.V. und dem Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung Schleswig Holstein: https://www.ab-jetzt.org/blog.html#bewusstsein&wer-spricht-hat-recht-studie-bestatigt-einfluss-von-berichterstattung-uber-gewalt-gegen-frauen

UN-Bericht zu Gewalt gegen Frauen: https://www.unwomen.org/en/what-we-do/ending-violence-against-women/facts-and-figures

Medienscreening von Gender Equality Media: https://genderequalitymedia.org/portfolio/gewalt-ist-keine-sprache-unser-medienscreening/

Studie zu Gewalt gegen Männer vom Familienministerium: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/84590/a3184b9f324b6ccc05bdfc83ac03951e/studie-gewalt-maenner-langfassung-data.pdf

Hilfsangebote:

Hilfeportal sexueller Missbrauch mit Suchfunktion nach PLZ!
https://www.hilfeportal-missbrauch.de/startseite.html

Frauenhaus-Suche
Unter www.frauenhaus-suche.de können tagesaktuell die Aufnahmekapazität aller eingetragenen Frauenhäuser und Schutzwohnungen offen eingesehen werden.

Bundesweite Frauenhäuser-Suche – https://www.frauenhauskoordinierung.de/

Suche nach Hilfe-Einrichtungen in der Umgebung – https://www.frauen-info-netz.de/

Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen – rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Nummer 116 016 – https://www.hilfetelefon.de/

Hilfetelefon Sexueller Missbrauch – erreichbar Mo, Mi, Fr: 9.00 bis 14.00 Uhr und Di, Do: 15.00 bis 20.00 Uhr unter der kostenlosen Nummer 0800 22 55 530 https://www.hilfeportal-missbrauch.de

ProFamilia – Onlineberatung – Suche nach Beratungsstellen in der Umgebung: https://www.profamilia.de/

Gewalt an Männern:
08001239900
https://www.maennerwege.de/0800-123-9900/

Kinder- und Jugendtelefon:
116111
https://www.nummergegenkummer.de/kinder-und-jugendberatung/kinder-und-jugendtelefon/

Elterntelefon:
0800111 0 550
https://www.nummergegenkummer.de/elternberatung/elterntelefon/



Hinweis: Wir haben diesen Beitrag am 23.05.22 überarbeitet. In der usprünglichen Version haben wir vergessen, Gender Equality Media e.V. zu markieren. Das haben wir nachgeholt und uns entschuldigt.

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