Eine Hand wäscht die andere

Dass Händewaschen sehr viel wichtiger ist, als viele angenommen haben – oder genauer gesagt praktizieren – ist schon seit geraumer Zeit bekannt. Aber durch die akute Bedrohung der Coronakrise wird das ganze Ausmaß der Problematik noch einmal sehr viel deutlicher. Auf der einen Seite, die wir euch hier bereits gezeigt haben, steht der Versuch einer ganzen Industrie, Frauen über Appelle an stereotype Rollenklischees zu Hygienebeauftragten zu erklären. In der entsprechenden Reklame geht es nie darum, dass beispielsweise Deutschland Nachholbedarf hat, wenn es um 20 sekündiges, gründliches Händewaschen geht, das Daumen, Handrücken und Fingerspitzen miteinbezieht. Sondern darum, Mütter qua Geschlecht dazu zu verpflichten, mit Desinfektionsmitteln die Familie keimfrei zu halten.

Die Werbeindustrie drückt dafür richtig aufs Gewissen. Ohne die entsprechenden Produkte könne man seine Zuhause auch gleich mit rohem Fleisch reinigen.

Auf der anderen Seite – und man kann gar nicht genug betonen, wie dringend darauf hingewiesen werden muss – steht die Tatsache, dass Männer sich im Vergleich zu Frauen sehr viel seltener und schlampiger die Hände waschen. Wenn überhaupt. Dass das nicht nur ekelhaft sondern auch gefährlich ist, wird durch die aktuelle Situation überdeutlich. Und selbstverständlich muss das verbessert werden. Glücklicherweise brummen die sozialen Netzwerke seit Tagen und Wochen von Aufforderungen und Videos, die zeigen wie man es richtig macht. Ob es nun über eine Visualisierung funktioniert, die deutlich macht, dass das leider sehr übliche Drei Sekunden Wasserpatschen nicht ausreicht,

oder über Humor, Musik und dramatische Gesten:

Wichtig ist, dass in Bezug auf das Händewaschen der Groschen endlich fällt. Die Frage, die darüber hinaus gestellt werden sollte, ist die, warum er insbesondere bei Männern so lange nicht gefallen ist. Und zwar ernsthaft und ohne Schuldzuweisung. Die Taktik des Beschämens und der „brutalen, pädagogischen Maßnahmen“, die im Tagesspiegel vor einigen Monaten vorgeschlagen wurden, mag vielleicht für einen Moment ganz hilfreich sein, aber sie sind nicht nachhaltig. Den anderen mal eben als Hygieneferkel im Restaurant zu outen ersetzt in keiner Weise die Notwendigkeit, mit der offenbar vor allem Männern erklärt werden muss, warum gründliches Händewaschen unverzichtbar ist und oft tatsächlich eine Frage von krank werden versus gesund bleiben, von Leben oder Tod. Deswegen die ganz unironisch gemeinte Frage:

Was finden Männer am Händewaschen so nervig/unangenehm/überflüssig?

Ist es der Zeitverlust? Der Aufwand? Das damit verbundene Gefühl an den Händen? Denn das vielen von ihnen Händewaschen irgendwie zu viel ist, ist unstrittig. Studien wie beispielsweise von der BZgA belegen das immer wieder. Selbstverständlich ist auch die Handygiene von Frauen verbesserungswürdig, aber die von Männern liegt grundätzlich darunter – selbst in Coronazeiten. Selbst nach Aufforderung. Es gibt Studien, die belegen, dass die Anzahl der Frauen, die sich auf öffentlichen Toiletten die Hände mit Seife waschen, durch das Anbringen eines entsprechenden Hinweisschildes von 61% auf 97% erhöht. Bei Männern sind es ohne Schild 37% und mit Schild 35%. Das Ergebnis verschlechtert sich sogar noch. Was zur Hölle ist da los?! Vielleicht kann das Leben des Arztes Ignaz Semmelweis Hinweise geben, dessen Verdienste Google kürzlich mit einem eigenen Doodle gewürdigt hat.

Semmelweis stellte bei seiner Arbeit fest, dass Gebärende, die von Ärzten betreut wurden, deutlich häufiger im Kindbett starben als diejenigen, die ausschließlich von Hebammen versorgt wurden. Der Hauptunterschied bestand darin, dass die Ärzte auch mit Leichen zu tun hatten, die sie berührten, autopsierten und dadurch Schwangere bei anschließenden Untersuchungen mit entsprechenden Bakterien infizierten. Also wies er seine Studierenden an, sich die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren, und drückte damit Sterblichkeitsraten aus dem zweistelligen Prozentualbereich auf etwa 1% Prozent. Allerdings wurde diese Entdeckung durch Semmelweis von seinen Kollegen großflächig ignoriert und missachtet. Koryphäen wie Rudolf Virchow, James Young Simpson und Eduard Kaspar Jakob von Siebold hielten nichts von seinen Hygienevorstellungen und wollten nicht akzeptieren, dass sie es waren, die durch die Übertragung von Keimen Krankheit und Tod ihrer Patient*innen mit zu verantworten hatten. Der Mann der Sauberkeit wurde als Nestbeschmutzer gebranntmarkt, sein Ansehen wurde befleckt und seine Karriere torpediert. Alles, weil ein paar Männer nicht über ihre allzu selbstherrlichen Schatten springen wollten. Andere wiederum, und auch das sei hier erwähnt, erkannten schließlich die Tragweite von Semmelweis‘ Entdeckung und rangen mit Schuldgefühlen. Einige wie der Arzt Gustav Adolph Michaelis nahmen sich deshalb sogar das Leben.

Also was immer es ist, dass Männer davon abhält, sich vernünftig die Hände zu waschen: Es ist unser aller Aufgabe sicherzustellen, sie nicht mit dem Eindruck davonkommen zu lassen, es sei unter ihrer Würde. Oder wie es die Direktorin des öffentlichen Gesundheitsprogramms an der Jefferson Universität, Rosie Frasso, formuliert: „Wir müssen sicherstellen, dass Männer sich nicht zu macho fühlen, um sich über Keime Sorgen zu machen.“ Denn spätestens jetzt sollte allen klar sein: Wenn nicht eine Hand die andere wäscht, dann infiziert sie sie womöglich. Und genau das gilt es zu verhindern.

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