Fünf Jahre ist es her seit mich Stevie zu Pinkstinks an Bord geholt hat. Im Juli 2013 lebte ich mit Lebenskomplizin und 2 Kindern (die anderen beiden waren noch im Schrank der Ideen) in Süddeutschland und versuchte mich immer noch sortieren, nachdem mich die Internetwalze Vater im Rock überrollt hatte. Sie hatte einen Text von mir gelesen, in dem ich das Phänomen der Verpuppung beschrieb – im konkreten Fall ging es um ein kleines Mädchen, das auf eine Hüpfburg wollte, aber zunächst mit Verweis auf seine Kleidung und Schleifchen nicht durfte. „Hast du Lust, mich zu unterstützen?“ fragte Stevie. Ich hatte. Pinkstinks wirkte schon damals auf mich sehr handfest und machbar: Straßentheater, Texte schreiben, rumstänkern, feiern, Demos organisieren. Ich schrieb einen kleinen Einführungstext darüber, wer ich bin und warum ich mich bei Pinkstinks engagieren will. Darüber, dass mir dieses ständige Irgendwie auf die Nerven geht. Irgendwie muss alles gleichberechtigter werden, irgendwie haben wir ja schon ganz viel erreicht und sollen uns deshalb jetzt bitte alle gefälligst beruhigen, irgendwie soll Feminismus die Welt retten, irgendwie ist Feminismus überflüssig. Pinkstinks hingegen wirkte dagegen sehr konkret und war tatsächlich noch viel konkreter. Als ich Stevie das erste Mal persönlich begegnete, trafen wir uns im ICE nach Berlin zur Planung der Demo gegen Sexismus in der Werbung vor dem Brandenburger Tor.
Sie war eine übermüdete Aktivistin, die (ich weiß bis heute nicht wie) bei Bedarf sofort voll da ist, alles verkaufen kann, alle unter den Tisch redet und mehr Sachen in einer Stunde anschiebt als die meisten in einer Woche (inklusive mir). Und ich war es leid, Texte immer nur aus der patriarchalen Hängematte zu schreiben. Ich wollte etwas riskieren und mal nicht für Sicherheit durch Privilegien sondern für Freiheit planen.
Warum also nicht mal seine Privilegien aufs Spiel setzen? Keine davon habe ich verhandelt, ausbedungen, erstritten oder erkämpft. Sie sind mir im gleichen Maße zugefallen, wie sie anderen vorenthalten werden. Warum sich nicht auch mal von allen Seiten Ärger einhandeln – wahlweise wegen linkem Gutmenschenschaum vor dem Mund oder feministischer Arschkriecherei? Was würde es kosten, sich aus der Privilegiendeckung zu wagen?
Inzwischen ist viel passiert. Pinkstinks ist immer noch ein kleiner aber mittlerweile sehr schlagkräftiger Haufen voller Pläne und Ideen, die umgesetzt werden wollen. Immer noch am Rande der Selbstausbeutung, dafür besser planbar und finanziert. Immer noch unbequem aber sehr lösungsorientiert. Und auch die Welt hat sich weitergedreht. Feminismus ist eine popkulturelle Referenz geworden, die auf T-Shirts und Handtaschen passt. Zugleich werden Frauen* digital und analog bestimmter denn je auf die billigen Plätze verwiesen, zurechtgestutzt und zum Schweigen gebracht. Aber Feminismus scheint spätestens seit dem #Aufschrei gekommen, um zu bleiben. Ließ sich über frühere feministische Wellen noch der Mantel der Verunsichtbarung und der Nichtachtung breiten, wissen die Aktivist*innen auch und insbesondere dank des Internets nun wer sie sind, wo sie stehen und mit wem bei welchem Thema zu rechnen ist. Manche wähnen ob der erfolgreichen Verschlagwortung von Initiativen wie #NeinheißtNein, #ausnahmslos oder #regrettingmotherhood schon das Heraufdämmern eines oberflächlichen Hashtag-Feminismus – und verwechseln dabei doch nur das Medium mit der Botschaft und die Verabredung mit der Veranstaltung. Das Internet ist bei aller Absurdität und allem Hass der stetigen Backlashwellen ein sehr mächtiges Werkzeug, um Menschen zu vernetzen und Dinge in Bewegung zu setzen. Nicht nur Pinkstinks versteht, es zu nutzen. Und Pinkstinks nutzt es nicht zuletzt auch dafür, um Männern feministische Positionen näherzubringen. Das klappt – wie sollte es anders sein – mal besser, mal schlechter. Einige interessieren sich für den Unterschied zwischen Sicherheit und Freiheit und fangen an, sich zu fragen, ob es wirklich zwingend zu Einübungen in Männlichkeit dazugehören muss, in seinen Gefühlen verflacht und in seinen Bedürfnissen begradigt zu werden. Andere schaffen es hingegen, dem Feminismus anzulasten, dass Männer früher sterben, häufiger Suizid begehen und mehr Betriebsunfälle haben. Weil ja früher alles besser war. Weiß mann ja.
Und was meine persönliche Emannzipation anbelangt: Ich kultiviere eine seltsame Mischung aus Resignation und Begeisterung. Seit mein älterer Sohn mich gebeten hat, für ihn einen Rock zu tragen, hat sich viel geändert und so viel dann doch wieder nicht. Auch mein Jüngster muss sich mit drei Jahren von der Verkäuferin im Drogeriemarkt anpflaumen lassen, das Haarspangen doch für Mädchen seien. Und warum er ausgerechnet Pink mag, leuchtet vielen so gar nicht ein. Oder warum sich meine Jüngste für Feuerwehrautos begeistert. Aber vielen dann eben doch und so scheint es mir immer häufiger gar nicht mehr so aussichtslos, gegen all die Widerstände anzurennen. Bilde ich es mir ein oder werden die Wände weicher und die Windmühlen kleiner? Ich jedenfalls habe noch ein bisschen Kraft weiterzumachen und wenig zu verlieren. Der Ruf ist sowieso schon ruiniert. Ob nun lila Pudel, Geschlechtsverräter, Vaginalschranze oder Dieter Bohlen des Feminismus – es fällt selten aus einem Rahmen, der mich nicht auch zumindest ein wenig erheitern würde. So wie Trekkingsandale des Feminismus. Zwar kaum graue Haare, dafür aber womöglich pädagogisch zu reflektiert. Geht klar, kann ich mit leben.
Die Trekkingsandale läuft noch ein paar Runden und macht noch ein bisschen mehr: Mehr Texte, mehr Kampagnen, mehr Shitstorms, mehr Lobeshymnen, mehr Vorträge, und viel, viel mehr Privatleben. Wahrscheinlich dadurch auch mehr graue Haare. Aber die haben sich dann wenigstens gelohnt.
Quelle Beitragsbild:Screenshot Das Leben des Brian.