Es gibt keine Vergewaltigungsfantasien

Triggerwarnung: Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt

Ja, das steht da wirklich und ist auch tatsächlich ernst gemeint: Obwohl der Begriff der Vergewaltigungsfantasie immer wieder dafür benutzt wird, die Sexualität von Frauen zu beschreiben, wirft er ein vollkommen unangemessenes, falsches Licht auf sexuelle Handlungen, Begehren, Einvernehmlichkeit und Gewalt. Um sich damit genauer auseinandersetzen zu können, muss klargestellt werden, worum es in diesem Text nicht gehen wird:
Es geht nicht um Kinkshaming. Das heißt, dass sexuelle Präferenzen und Fantasien nicht bewertet und schon gar nicht schlecht geredet werden. Sexuelle Szenarien und Praktiken aus dem BDSM- Bereich sind weder „eklig“ noch „pervers“, auch wenn sie möglicherweise sehr weit außerhalb der eigenen Vorstellungskraft angesiedelt sind. Was erwachsene Menschen einvernehmlich miteinander tun, geht Dritte zunächst einmal überhaupt nichts an.
Es geht nicht darum, dass Täter oder Täterinnen nicht davon fantasieren würden oder könnten, mögliche Opfer zu vergewaltigen. Das dies nicht nur möglich sondern sogar wahrscheinlich ist, scheint angesichts des Umstands, dass Vergewaltigungen nicht nur im Affekt geschehen, sehr offensichtlich zu sein.
Und es geht schon gar nicht darum, Frauen ihre Fantasien abzusprechen und in irgendeiner Weise vorzutäuschen, sie wären qua Geschlecht nicht in der Lage, Machtungleichheit und Gewalt in ihre Sexualität zu integrieren.
Vielmehr geht es darum, dass die weit verbreitete Vorstellung, eine signifikante Anzahl von Frauen hätte gelegentlich oder sogar häufig Fantasien darüber von Männern vergewaltigt zu werden, einem bewussten Missverständnis zwischen Sexualität und sexualisierter Gewalt entspringt, welches die Rape Culture in unserer Gesellschaft etabliert und befördert. Angesichts der Existenz von Studien, die herausgearbeitet haben, dass nicht weniger als 62% der befragten Frauen Vergewaltigungsfantasien haben oder hatten, scheint das eine ziemlich gewagte Behauptung. Offenkundig sind sie ja da. Trotzdem oder gerade deshalb muss die Frage erlaubt sein: Was genau ist denn da? Worüber reden wir eigentlich, wenn wir über Vergewaltigung sprechen? Und ist nicht gerade die Unschärfe in der Verwendung des Begriffs nicht auch mitverantwortlich für die sprachliche und moralischen Normalisierung eines Verbrechens. Zur Erinnerung worüber wir hier eigentlich reden: 27% der in einer EU-weit durchgeführten Umfrage befragten Personen gaben an, dass nicht einvernehmlicher Geschlechtsverkehr in bestimmten Situationen vertretbar sei. Zum Beispiel wenn die Frau betrunken war, zuvor geflirtet hat, freizügig gekleidet war, nachts allein unterwegs oder mehrere Sexualpartner hatte. Die Tagesschau nannte das „Sex ohne Einwilligung“. Und genau das ist das Problem.

Denn worüber reden wir, wenn wir über Vergewaltigung sprechen und sie in den Fantasien von Frauen verorten? Laut der Istanbul-Konvention bezeichnet Vergewaltigung einen spezifischen Fall sexualisierter Gewalt, bei dem gegen den Willen des Opfers mit einem Körperteil oder Gegenstand anal, vaginal oder oral in dessen Körper eingedrungen wird. Eine Vergewaltigung stellt eine unmittelbare Verletzung des Menschenrechts auf sexuelle Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und Unantastbarkeit der Würde dar.
Meinen wir wirklich das, wenn wir Frauen Vergewaltigungsfantasien attestieren? Wohl kaum. Ohne es weiter kenntlich zu machen, driften wir an dieser Stelle gesellschaftlich von der Bezeichnung eines grausamen Gewaltverbrechens in den Kink-Bereich: Macht und Unterwerfung, Überwältigungsszenarien, Fesseln, Schlagen und derlei mehr. All diese Dinge sind unter konsensuellen Erwachsenen vollkommen in Ordnung und weder illegal noch moralisch verwerflich. Menschen, und das meint ausdrücklich nicht nur Frauen, können selbstverständlich darüber fantasieren, die Kontrolle abzugeben. Sie können diese Fantasie sogar in die Tat umsetzen. Aber es handelt sich dabei um einen kontrollierten Kontrollverlust. Für eine solche Situation gibt es ein Safeword, die sie sofort beendet. Für eine Vergewaltigung gibt es kein Safeword.

Darüber zu fantasieren, auf dem Nachhauseweg überfallen und sexuell überwältigt zu werden oder auch sich mit jemandem dafür zu verabreden, dass er oder sie eine*n auf dem Nachhauseweg überfällt und sexuell überwältigt ist etwas fundamental anderes als auf dem Nachhauseweg vergewaltigt zu werden. Trotzdem wird dieser Begriff immer wieder verwendet. In ihrer Kritik an dieser Misskonzeption hält die Philosophin Kelly Oliver fest, dass es schon so etwas wie „nicht einvernehmlichen Sex“ nicht gibt. Das sei nichts anderes als das Zufügen von körperlicher Gewalt mit sexualisierten Mitteln. Grundsätzlich müssten diese Unterschiede eigentlich klar sein. Eine Person, die es genießt, auf der heimischen Konsole Prügelspiele zu zocken hat ebenso wenig Interesse daran, von mehreren Leuten attackiert und halbtot geprügelt zu werden, wie jemand, der professionelle Boxkämpfe bestreitet. So genannte Vergewaltigungsfantasien haben also nichts mit Vergewaltigung zu tun. Warum also sie weiterhin so nennen? Warum also wird diese sinnbefreite, widersprüchliche Konstellation von einer Frau, die sich wünscht, dass etwas gegen ihren Willen geschieht, aufrecht erhalten? Warum werden sexuelle Unterwerfungsfantasien oder Szenarien nicht einfach als das bezeichnet, was sie sind? Weil es um die Normalisierung eines Überwältigungs- und Zugriffsrechts auf Opfer gilt. Weil Frauen als „irgendwie an Vergewaltigung interessiert“ markiert werden sollen. Damit über eine tatsächliche Einvernehmlichkeit auch weiterhin dreist (schutz)behauptet werden kann, dass sie es ja auch wollte. Um das zu verhindern sprechen sich immer mehr Expert*innen dafür aus, diesen Begriff nicht mehr zu verwenden. Das heißt nicht, dass Fantasien umgedeutet oder gar zensiert werden sollen. Es heißt auch nicht, dass den Opfern von sexualisierter Gewalt damit die Möglichkeit genommen werden soll, sich im Fantasieren über die Tat oder tatähnliche Szenarien nachträglich so etwas wie Kontrolle anzueignen.

Es bedeutet, dass wir aufhören müssen, Vergewaltigung zu einer Kulturtechnik zu erklären, um sie über Sprache und Mythen auch noch in unsere Gesellschaft einzuladen und dort fest zu verankern. Wenn Sex ungleich Vergewaltigung ist, dann ist Sexfantasie auch ungleich Vergewaltigungsfantasie. Vergewaltigung ist eine Unkulturtechnik, die insbesondere Frauen gleich mehrfach zu Opfern macht. Zum einen durch die Tat selbst und zum anderen durch das perfide Gerede darüber, dass Männer nun einmal Schwierigkeiten damit hätten klar einzuschätzen, was sie wann wie tun dürften. Weil ja bekanntermaßen „so viele“ Frauen Vergewaltigungsfantasien hätten. Diese Unterstellung hat nichts, absolut nichts mit echtem Interesse an weiblicher Sexualität und weiblichem Begehren zu tun. Dafür aber umso mehr mit einem durch eine Schutzbehauptung abgesicherten Machtanspruch. Die Verfügbarkeit wird hier nicht am Körper durch Posen oder Kleidung inszeniert, sondern in den Körper hinein manipuliert. Und dann ist da auch noch die Frage nach Schuld und Scham. Wenn kinky Fantasien oder Praktiken, die so drastisch sein können, wie sich alle Beteiligten darauf einigen, mit diesem Begriff belegt werden, dann wird weibliches Begehren wieder einmal beschämt. Im Sinne von:
Wie kann es sein, dass ich mir ausgerechnet DAS herbeiwünsche?
Was stimmt denn nicht mit mir?
Was hier aber nicht stimmt, ist nicht die Fantasie von einzelnen oder mehreren Frauen sondern das gesellschaftliche Bild von Sexualität und die damit verbundene Normierung. Noch einmal: Sich selbstbestimmt sexuell zur Verfügung zu stellen oder stellen zu wollen hat nichts damit zu tun, qua Geschlecht gegen den eigenen Willen in jeder Situation für sexuell verfügbar gehalten und entsprechend behandelt zu werden. Und es wird höchste Zeit, auf diesen Unterschied zu bestehen.