Extrem unverheiratete Frauen

Die neue Präsidentin Taiwans, Tsai Ing-wen, ist für die chinesische Führung ein Problem. Sie definiert die Rolle ihres Landes gegenüber dem großen Nachbarn als sehr viel eigenständiger und setzt auf Souveränität statt auf Satelitenstaatlichkeit. Die Gründe hierfür hat man in der chinesischen Presse auch schon ausgemacht: Die Präsidentin ist unverheiratet und sei somit auch viel emotionaler, extremer und persönlicher in ihren politischen Entscheidungen. Zudem würde sie sich, unbeschwert von Liebe und Kindern, nur auf kurfristige Ziele und Detailfragen versteifen.

Eine seltsame psychologisierende Ferndiagnose der 59 jährigen Juraprofessorin, aber auch eine, die lange Tradition hat – und das nicht nur in China. Dort hat sich die Lage allerdings in den vergangenen Jahren zugespitzt. Die Gesellschaft sieht sich aufgrund der Jahrzehnte währenden Ein-Kind-Politik und der Bevorzugung männlicher Nachkommen mit einer dramatischen Schieflage innerhalb der Bevölkerung konfrontiert: Es gibt deutlich mehr Männer als Frauen. Zudem sorgt die zunehmende Emanzipation dafür, dass Frauen die Bedürfnisse anderer nicht mehr selbstverständlich über ihre eigenen stellen.

In Konsequenz daraus wird auf unverheiratete Frauen mehr Druck ausgeübt. Eine Frau Ende Zwanzig, die noch nicht verheiratet ist, gilt als Übriggebliebene, als „Leftover Woman“. Und zwar unabängig davon, wie erfolgreich sie in allen anderen Bereichen ist. Selbst beruflich sehr erfolgreiche Frauen werden so als verpacktes Geschenk an die Männer definiert, dass leider bislang keiner haben wollte.

Dieser Druck schafft sogar neue Geschäftszweige. Zum Neujahrsfest wird da den ungeduldigen Eltern schon mal ein angemieteter Freund präsentiert, damit sie endlich Ruhe geben. Aber der befremdliche Umgang mit unverheirateten, geschiedenen oder einfach ungebundenen Frauen ist kein rein chinesisches sondern ein patriarchales Phänomen. In den USA machen republikanische Politiker*innen mit unschöner Regelmäßigkeit darauf aufmerksam, dass unverheiratete Frauen sich moralisch fragwürdig verhalten würden und für viele Bereiche keine Kompetenz hätten. In der Türkei wird der Versuch unternommen, Studierenden eine Geschlechtertrennung aufzuwingen. Weil wer weiß, was sonst alles so passiert.

Und auch Deutschland wird Frauen seit Jahren vorgeworfen, sie seien in puncto Beziehungen viel zu anspruchsvoll und würden sie damit praktisch verunmöglichen.

Tatsächlich geht es in all diesen Fällen in unterschiedlichen  Abstufungen um die Einhegung weiblicher Selbstbestimmung und um den Niedergang des Ideals der anspruchslosen, aufopferungsvollen, gerne fremdbestimmten Frau. Es geht darum, ihrer Sexualität Herr zu werden und jede ihrer noch so berechtigten Forderungen mit Verweis auf Tradition, Familie und Romantik ins Leere laufen zu lassen. Beruflicher Erfolg, sexuelle Selbstbestimmung, Bildung und Unabhängigkeit werden so als schale, moralisch fragwürdige Themen entwertet, die dem eigentlichen „Frausein“ im Weg stünden. Es geht letztendlich um Systemstabilisierung, Zugriffsmöglichkeiten und Macht.

„Aber ihr müsst doch..“ heißt es dann an die Frauen gerichtet: Für Volk, Vaterland und Geburtenrate. Für die Männer, die Gesellschaft und das Beziehungsglück. „Ihr wollt doch auch…“

Und was, wenn nicht ?!