Ist Plus-Size-Werbung feministisch?

Unglaublich: Es gibt inzwischen Models in der Werbung, die nicht Größe 34-36 tragen! Ist das schon die feministische Revolution? Nein, leider nicht. Indem Models klar als „Plus-Size“ gelabelt werden oder in Kampagnen betont wird, dass diese Personen früher gemobbt wurden, spielen sich Marken als Retter auf – und beschämen so eher als dass sie ermächtigen. 

Sie hätten fast alles richtig gemacht. Als Dove Cosmetics im Sommer 2021 eine Anzeige für ihre Bodylotion auf großen Out-of-Home-Screens schaltete, erkannte man schon von weitem eine selbstbewusst lachende, normalgewichtige Frau in einem attraktiven roten Dessous. Ein wirklich mal selbstbewusst lachendes Model für Dove, und dann auch noch ein solo Auftritt einer Schwarzen Frau für Kosmetik in Deutschland – das war erfrischend neu. 

Dove Kampagne „Body Love“: https://www.dove.com/de/stories/campaigns/bodylove.html (7.10.21)

In der Vergangenheit hatten die Dove „Inner-Beauty“-Kampagnen darin geglänzt, normalgewichtige Frauen in praktischer weißer Wäsche abzulichten, die in der Mehrzahl so aussahen, als würden sie sich nicht so richtig wohl beim Fotoshooting fühlen. 

Ältere Dove Kampagne, gefunden auf www.huffpost.com (7.10.21)
Ältere Dove Kampagne, gefunden auf Facebook (7.10.21)

Wir möchten hier auf keinen Fall die Frauen in ihrer Schönheit oder Qualität als „Models“ beschämen. Sie sind alle wunderschön! Aber sie wirken eben nicht wie professionelle Models, die verkaufen, dass sie sich grandios wohl und Ikonenhaft fühlen. Es wurde zwar darauf hingewiesen, dass dies „keine Models“ seien – aber das gilt nicht. Denn jede Frau, die für eine Marke posiert, „modelt“ für, also vertritt diese. Es scheint in diesen Bildern, als sei extra ein „Look“ produziert oder gesucht worden, der Unsicherheit ausdrückt – um die Marke als „Retterin“ oder „Befreierin“ erscheinen zu lassen. „Auch du darfst mal aufs Bild!“

Eine eindeutig lässig blickende Person, die aussagt, dass sie sich wohl und selbstsicher fühlt – in Wäsche, die viele Betrachtende toll finden – war also ein enormer Fortschritt in dem eingangs erwähnten Plakat. „Ich fühle mich toll – und genauso kannst du dich auch fühlen!“, sagt so ein Bild aus. Wenn wir von nun an für Dessous oder Bademoden solche Bilder sähen, könnte man dem angestrengten Vergleichen und Nachtrauern von Körpergrößen, die man nie erreichen würde, tatsächlich Adieu sagen. Nur 2 % der erwachsenen Frauen in Deutschland tragen Größe 34 und sind über 175 cm groß, könnten sich also – nach traditionellen Germany’s Next Topmodel-Regeln – als Model bewerben. Doch tatsächlich tragen die meisten Frauen Größe 42 – 44. Adipositas (die in der Regel weit über dieser Körpergröße, je nach Körperhöhe, ansetzt) kann im gehobenen Alter Brustkrebs und Diabetes (und schwerere Covid19-Verläufe) begünstigen und deshalb fordert niemand „dick“ als einseitiges, neues Ideal oder Alternative zur heute noch geltenden Schlankheitsnorm. Es gibt aber überhaupt keinen gesundheitsgefährdenden Grund, warum die Vielfalt unserer Körpergrößen (und, wenn wir schon dabei sind – Alter und Hautfarben) in der Werbewelt nicht vertreten sein sollten. Es gibt jedoch einen wirtschaftlichen Grund: Ein einziges, fast unerreichbares Körperideal kann Frauen extrem unsicher halten. Und Unsicherheit regt zum Konsum an: 80 % der Waren und Dienstleistungen in der Welt werden von Frauen erworben. 

Schönheit lernen wir durch Tradition und Vorbilder. Das zeigen verschiedene Schönheitsideale weltweit, die es vor der Globalisierung noch gab. Dass das Ideal weltweit heute schlank, sehr jung und hellhäutig ist, hat mit patriarchalen Machtstrukturen zu tun – und mit sich überall wiederholenden Bildern. Das könnte auch gut daran liegen, dass die Werbebranche in Deutschland, genau wie werbende, große Marken, noch viel zu wenig Frauen in den Führungsetagen haben. Dort, wo Frauen entscheiden, gibt es viel häufiger Werbung, in denen mit den ewig gleichen Schönheitsidealen und Geschlechterrollenstereotypen gebrochen wird. Eine Werbung wie von Dove oben, mit der selbstbewusst lächelnden Frau, die ca. Größe 42 trägt, wäre ein positives Ergebnis von einem Wandel in der Werbebranche, den wir gerne viel öfter sehen würden. 

Aber wenn man mit Auto oder Fahrrad nahe an dieses Bild heranfuhr, las man leider: 

Das Model, eine wunderschöne Schwarze Frau, mit ca. Kleidergröße 42, steht selbstbewusst und lächelnd in roter Unterwäsche und mit herabhängender Jeansjacke vor beschämenden Kommentaren, die hinter einem rosa Filter liegen. Neben ihr steht in großer Schrift: 2 von 3 Frauen erleben Bodyshaming. Das muss aufhören!
Dove Kampagne „Body Love“, www.gosee.news (7.10.21)

„Bodyshaming muss aufhören!“ „Wieso – wer beschämt sie denn?“, könnte man als Betrachtende fragen. Oder sich erst die Frage stellen: „Ach so – die könnte man beschämen? Wieso – ist das etwa nicht umwerfend, wie sie aussieht?“ Erst mit dem textlichen Zusatz auf dem Bild kommen diese Gedanken in die Köpfe der Betrachtenden. Anstatt das Model als starkes Statement für ihre Kosmetik zu nutzen, wird sie durch den Text abgewertet und als „gerettetes Opfer“ dargestellt. Anstatt sie in ihrer Schönheit unkommentiert als neues Status Quo zu etablieren – denn jede Frau, die für eine große Marke werben darf, ist automatisch „ideal“ – wird den Betrachtenden kommuniziert: „Okay, du bist nicht perfekt. Eigentlich denkst du ständig, dass du hässlich bist, und hörst das auch von anderen. Aber auch du darfst bei uns aufs Poster. Wir werten dich auf. Und wenn du dich erst mit Dove Bodylotion eingeschmiert hast…“

Vor Jahren publizierte jemand sehr klug diese Persiflage auf Dove, die gerade zu diesem Plakat wieder in Umlauf gebracht werden sollte. Hier wird sehr witzig darauf hingewiesen, dass Dove eher Unsicherheiten schürt als dass die Marke Frauen ermächtigt:

Ähnlich abwertend warb in diesem Jahr H&M mit dem berühmten „Curvy“-Model Paloma Elsasser. Anstatt sie als unkommentierte Ikone ins Wasser springen zu lassen, wird Elsesser beim Schwimmen in Gedanken von Hasskommentaren verfolgt, die sie als „hässlich“ oder zu dick bezeichnen. Aber H&M rettet sie, in dem sie ihr eine Gemeinschaft an weiteren „unperfekten“ Models beiseitestellt. Wieder: Anstatt diese Frauen einfach als natürliche Schönheiten zu inszenieren und sie als neuen Standard zu etablieren, werden sie durch die Assoziation mit Abwertung erst als „anders“ definiert. 

Dabei geht es auch ganz anders und viel besser. Pinkstinks hat 2019 ihren gendergerechten Werbefilmpreis „Pinker Pudel“ an Opel verliehen, deren Werbefilm „New Standard Evolved“ genau das Gegenteil tut: Opel fordert hier einen neuen Standard, in dem Diversität „normal“ – Standard, eben – ist und selbstbewusst gezeigt wird. Verantwortliche Kreative war die Geschäftsführerin der Hamburger Werbeagentur Überground, Jo Marie Farwick. 

Und genau deshalb, um neue Standards zu fordern, hat Pinkstinks 2018 selbst eine Modewerbung gestaltet, die die Außenwerbefirma Wall an 1000 Digitalscreens in ganz Deutschland zeigte. Weil – Echt Jetzt? – wir keine Lust mehr haben auf Vorgaben für Schönheit. 

Pinkstinks Kampagne „Echt jetzt“: Hier gibt’s mehr Infos.

Was wir uns wünschen, sind echte Menschen, die nicht schamvoll kichernd und von großen Marken „betreut“ abgelichtet, sondern glamourös und mit „Bäm!“ in Szene gesetzt werden. Weil wir alle ein wenig Glamour lieben. Weil wir alle mit tollem Licht und Farben attraktiv aussehen. Vor allem, wenn wir entspannt und selbstbewusst in die Kamera schauen dürfen. Hört auf, von „Plus-Size“ zu sprechen, als wäre Größe 34 „Standard-Size“. Hört auf, Kurven extra zu benennen, als hätte Heidi Klum etwa keine Kurven. Hört auf, die Mobbing-Erfahrung von Diversity-Models auszuschlachten und damit Hass zu reproduzieren. Zeigt sie einfach und feiert uns alle. Weil wir ideal sind. Jede*r von uns.

Zum Weltmädchentag am 11. Oktober haben wir deshalb dieses Jahr ein Video produziert, das diese Message verbreiten soll. Mit dabei sind nicht nur die Schauspielerinnen Lara Wichels und Jamie Watson aus unseren Videos der Schule gegen Sexismus, sondern auch Maja Watson, die einige von euch vielleicht von Tiktok oder Instagram kennen.

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