Shutdown, nichts geht mehr

„Kitas, Schulen, Fabriken und Kinos blieben geschlossen. Diejenigen, welche die Situation vorher noch belächelt hatten, mussten plötzlich damit umgehen.“ Was klingt wie eine Rückschau auf die Maßnahmen, die gegen die Ausbreitung des Coronavirus COVID-19 unternommen werden mussten, ist tatsächlich ein Zitat über die Auswirkungen des isländischen Frauenstreiks von 1975. 90% der Isländerinnen weigerte sich damals zu arbeiten, die Kinder zu hüten und den Haushalt zu machen. Für einen Tag brach das öffentliche Leben zusammen und die übersehene, missachtete Wertigkeit der Tätigkeiten von Frauen trat zutage. Und auch heute hätten Frauen allen Grund dazu, die Gesellschaft zu zwingen, endlich die Augen aufzumachen. Denn auch wenn es angesichts der Coronakrise verständlicherweise kaum jemanden interessiert: Heute ist Equal Pay Day. Bis zum heutigen Tag haben Frauen also komplett unbezahlt gearbeitet, weil die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland immer noch 21% beträgt. Und genau weil die Situation gerade so ist wie sie ist, ist jetzt der Moment darüber zu sprechen, warum der unbereinigte Gender Pay Gap und die Tatsache, dass Frauen sich Jobs aussuchen würden, die nun einmal nicht so gut bezahlt werden, nicht einmal die halbe Wahrheit sind.

Packen wir auf den Tisch, was systemrelevant ist. All die Jahre zuvor waren Frauen ja schließlich angelblich selbst schuld, dass sie vielfach erzieherische Berufe ergreifen statt gut bezahlte Karrieren zu machen und wichtige Managementposten zu ergattern. Und was ist jetzt? Plötzlich funktioniert Wirtschaft nicht mehr ohne genau die unbezahlte Arbeit, die mehrheitlich vor allem von Frauen erledigt wird. Newsflash: Das hat sie noch nie.
Wie sähe es wohl aus, wenn Frauen in Deutschland vom ersten Januar bis heute keinen Finger krumm machen würden. Die Zahlen dazu sind eindeutig: Fast 3/4 der Lehrenden an Schulen sind Frauen, in Grundschulen sind es sogar knapp 90%. In den Kitas liegt der Frauenanteil bei um die 95%. Bei ambulanten Pflegediensten sind 88% der Beschäftigten Frauen, in Pflegeheimen 85%. Der Frauenanteil in Apotheken liegt bei 2/3. Im Einzelhandel liegt die Wahrscheinlichkeit, an der Kasse von einer Frau bedient zu werden, bei knapp 70%. Und die beschließen jetzt alle, zweieinhalb Monate nichts zu tun, weil sie nicht anständig dafür bezahlt werden. In Deutschland stünde kein Stein mehr auf dem anderen. Nichts würde mehr funktionieren. Nie brauchte es weniger Vorstellungskraft als heute, um sich auszumalen, was das bedeutet.

Also werden wir, wenn die Corona-Pandemie überstanden ist, alle mal gesellschaftspolitisch ein ernstes Wörtchen miteinander reden müssen: Zum Beispiel darüber, dass die neoliberale FDP plötzlich nach dem starken Staat krakelt, der gefälligst die Wirtschaft retten soll, obwohl das doch eigentlich „der Markt regelt“ mit seiner übermächtigen „unsichtbaren Hand“.

Oder darüber, wer eigentlich nochmal auf die bescheuerte Idee gekommen ist, das Gesundheitssystem komplett durchzuprivatisieren, so dass Kliniken vor den Rettungsschirmzusagen der Regierung mit der Absage von elektiven Operationen zugunsten von Coronabetroffenen sich in die eigene Pleite geritten hätten. Und endlich auch darüber, dass Care-Tätigkeiten, die zum größten Teil nach wie vor von Frauen erledigt werden, ja offenbar doch nicht so pillepalle, das bisschen Haushalt, schenken wir ihr mal ein paar Blümchen, ist ja nur Kinderbetreuung ist. Hätte ja niemand ahnen können. Also außer den Expert*innen, die darüber schon seit Jahren reden und denen nicht zugehört wird, weil es ja nur um „Gedöns“ geht. Frauen waren nie „zu dumm“, um sich fair und anständig bezahlen zu lassen. Stattdessen sind wir als Gesellschaft viel zu engstirnig (gewesen), um zu realisieren wie wichtig ihre Arbeit ist und was für eine Zumutung der Gender Pay Gap ist. Also Schluss mit Hinhaltetaktik und leeren Versprechungen: Schließen wir die Lücke!

Foto Credit: by Markus Spiske on Unsplash

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