Darf ich noch Pornos gucken?

Darf ich noch Pornos gucken?

TW: Pornografie; sexualisierte Gewalt

Fakt ist: Wir tun’s. Und das nicht zu knapp: 2013 waren wir sogar Weltmeister*innen darin – laut einer Studie von Similarweb im Auftrag des britischen “Guardian”. Die Studie wurde eigentlich durchgeführt, weil David Cameron, damaliger Premier, einen Pornofilter fürs britische Internet forderte. Hat nicht geklappt. Dafür kam überraschend heraus: 12,5 % aller Webseitenaufrufe in Deutschland waren Pornoseiten. Mehr als jede zehnte Seite, die wir besucht haben, hatte irgendwas mit Sex zu tun! Damit lagen wir mit unserem Pornokonsum weltweit an der Spitze, noch deutlich vorm zweitplatzierten Spanien (9,5 %) und vor Großbritannien (8,5 %). Nur mal so wegen der Relevanz.

Und noch eine kleine Zahl, dafĂĽr umso krasser: 11.
So alt ist ein Kind im Durchschnitt, wenn es das erste Mal einen Porno sieht, laut Techniker Krankenkasse. Dieser Erstkontakt ist zwar oft ungewollt (bei Mädchen zu 68 %, bei Jungen zu 37 %). Aber er passiert, womöglich via Handy auf dem Schulhof – und wir können wenig dagegen tun. Außer miteinander reden. Darauf vorbereiten. Und dabei helfen, das Gesehene einzuordnen. Dafür müssen wir aber erst mal selbst wissen, wie wir das eigentlich finden. Und das finden wir jetzt zusammen raus.

Wenn Pornos dann von uns Erwachsenen konsumiert werden, kommt es fĂĽr uns sehr darauf an, um welche Art von Porno es geht. Und da geht’s schon los – denn bei der Frage, inwieweit Pornos problematisch sind, scheiden sich die Geister. Schon in den 1970er und 1980er Jahren gab es die sogenannten â€žfeministischen Pornokriege“. Auf der einen Seite diejenigen, fĂĽr die Pornos bedeuten, dass weibliche Personen erniedrigt, unterdrĂĽckt und ausgebeutet werden. Auf der anderen Seite diejenigen, fĂĽr die Pornos mit (weiblicher) sexueller Befreiung zu tun haben.

Am Grundsatz dieser hitzigen Debatte hat sich nicht allzu viel verändert. Beide Seiten – die anti-pornografische sowie die sexpositive – haben durchaus nachvollziehbare Argumente. Denn natürlich ist das ganze Thema komplex und vielschichtig.

Schaut euch hier unser Video zum Thema an:

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Von Männern für Männer

Der GroĂźteil der verfĂĽgbaren Filme ist tatsächlich aus männlicher Perspektive gedreht – also mit dem „Male Gaze“ – aus Männeraugen gesehen und von heterosexuellen Männern fĂĽr heterosexuelle Männer gemacht. Also stets aus der Sicht des penetrierenden Parts und nicht umgekehrt. Diese Pornos sind heteronormativ. Das heiĂźt, es gibt standardmäßig nur zwei klar voneinander abgegrenzte Geschlechter – Mann und Frau. Dabei sind die Männer den Frauen ĂĽberlegen. 

In dieser Art von Filmen können und wollen Männer immer. Frauen finden es anscheinend toll, jederzeit von allen Seiten penetriert zu werden. Frauenkörper werden objektifiziert und dienen der männlichen Befriedigung. Männer haben Riesenpenisse, Frauen milchbrötchenhafte Designer-Vulven. Alles ist logischerweise versaut und dirty, aber gleichzeitig seltsam steril und unmenschlich – keine Intimhaare, keine Pupse, kein Kichern, Knutschen oder versehentliches Kopfstoßen. Gruselig. Und langweilig.

Queere und andere Perspektiven oder Zwischentöne sind in solchen Pornos weder vorgesehen noch erwĂĽnscht. So wird zum Beispiel lesbische Sexualität aus männlicher Perspektive gezeigt. So wie Männer sich lesbischen Sex vorstellen und wĂĽnschen. So wie er sie anturnt. Nicht die Frauen.

Dieser Mainstream-Porno ist ziemlich verbreitet. Allein die Seite Pornhub hat jeden Tag 130 Millionen Besucher*innen aus der ganzen Welt. Und es gibt viele andere Porno-Seiten. 

Dann ist da noch die Extra-Kategorie von Pornos, in denen Frauen explizit erniedrigt und geschlagen werden. Wir meinen damit nicht einvernehmliches BDSM (AbkĂĽrzung fĂĽr Bondage, Discipline, Dominance/Submission, Sadism/Masochism), bei dem die  freiwillige Unterwerfung einer Person eine sexuelle Spielart sein kann! Aber es ist von auĂźen nicht einfach, Gewalt trennscharf zu bestimmen. Fängt sie schon bei Sprache an? Was ist einvernehmlich und nur inszeniert? Und was nicht-einvernehmliche sexualisierte Gewalt?

Immer nur Penis-Performance

Die weite Verbreitung von Hetero-Pornos im Mainstream ist deshalb ein Problem, weil Darstellungen unsere Wahrnehmung beeinflussen. Je öfter wir etwas sehen, desto normaler kommt es uns vor. So schleichen sich durch diese heteronormativen Pornos sexistische Vorstellungen ein. Diese Filme reproduzieren das ungleiche MachtgefĂĽge der patriarchalen Gesellschaft in jeder Hinsicht – und verstärken es. 

Das ist übrigens nicht nur für die oft objektifizierten Frauen ein Nachteil. Auch Männer bekommen eine verzerrte Vorstellung davon vermittelt, was es heißt, ein fairer Sexpartner zu sein. Immer nur Penis-Performance – das beschränkt auch, wie sie ihre eigene Sexualität er- und ausleben. Eventuell findet der eine oder andere Penetrationssex ja gar nicht am geilsten, hat aber keine Ahnung davon, weil Penis.

Und falls in solchen Pornos mal queere und andere Perspektiven auftauchen, dann häufig als exotisches Extra und aus männlicher Perspektive (siehe lesbische Sexualität). Natürlich gibt es für Alles Subgenres und Extra-Kategorien. Aber das sind dann eigene, vom Mainstream isolierte Nischen. Wie in der Gesellschaft auch.

Ein weiterer Aspekt ist, dass Jugendliche heute sehr leicht Zugang zu Pornos haben (wie wir oben bereits erwähnten). Und laut einer Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat die Mehrheit der Teenager ihr Wissen über Sex aus dem Netz. Die typischen Mainstream-Pornos können ihnen teilweise schädigende Bilder von Sexualität und Zwischenmenschlichkeit vermitteln. Und das kann ihre Sexualität und sexuelle Selbstbestimmung nachhaltig beeinträchtigen. Zum Beispiel, wenn sie in Praktiken einwilligen, obwohl sie ihnen in Wahrheit keinen Spaß machen.

Denn Sex und lustvolle körperliche Intimität gehören zu den Dingen, die Menschen lernen und behutsam erkunden mĂĽssen. Dazu gehört unter anderem, wahrnehmen zu können, was man sich selbst ĂĽberhaupt wĂĽnscht, Grenzen zu ziehen und zu respektieren. Und auch, dass es verschiedene Formen von Sexualität und Lust gibt und dass die okay und erfĂĽllend sind. Genau das kommt im Mainstream-Porno meist aber nicht vor.

Alternative Pornos – Schluss mit Scham?

Aber es gibt sie ja längst, die feministische oder ethische Pornografie. Da sie so vielfältig ist, ist eine klare Definition schwierig. Eins vorweg: Das Label “feministisch” garantiert uns keinen fairen Porno. Das ist genauso wie bei nachhaltigen Klamottensiegeln oder Bio-Palmöl – auch bei Pornografie mĂĽssen wir genauer hinschauen, um Pinkwashing von echter Fairness zu unterscheiden. 

Darauf können wir zum Beispiel achten:

  • Sexpositivität – also, Sex grundsätzlich als etwas Gutes, Genussvolles, Befreiendes und Schönes zu sehen. Was aber nicht heiĂźt, dass dabei nur gekuschelt wird.
  • Das Hinterfragen von Heteronormativität. Diese Art von Porno will die verbreiteten stereotypen Muster und Geschlechterrollen auflösen. Dadurch entsteht Raum fĂĽr verschiedenste sexuelle Identitäten und vielfältige, oft unterrepräsentierte Interessen und Praktiken. Also weg vom Mann-Frau/Rein-raus!

Aber es gibt noch mehr Kriterien, anhand derer wir eine faire Produktion erkennen können. Ein paar Dinge, die in feministischem Porno eine Rolle spielen: verantwortungsvolle Interaktionen, miteinander reden, Konsens, gleichberechtigte Lust, nicht-normative Sexualität, Augenkontakt und verschiedene Berührungen statt purer Penetration. Die Arbeitsbedingungen beim Dreh sollen fair und sicher sein und die Porno-Darstellenden mehr Freiraum und Mitspracherecht haben. Ohne Einvernehmlichkeit läuft nichts.


Daher gibt es seit einigen Jahren Bestrebungen, sogenannte “Intimitätskoordinator*innen” am Set zu etablieren, die Sicherheit und Wohlbefinden aller Beteiligten gewährleisten.

NatĂĽrlich haben wir da nicht immer Einblick hinter die Kulissen  – hier ist Transparenz seitens der Produktionsfirmen ein gutes Zeichen.

AuĂźerdem sind Frauen hier nicht nur vor der Kamera, sondern auch als Regisseurinnen, Produzentinnen, Autorinnen und Kamerafrauen aktiv. Zu den bekanntesten der Branche gehört beispielsweise die feministische Porno-Filmemacherin Erika Lust.

Auch die Kommunikationswissenschaftlerin Laura MĂ©ritt setzt sich fĂĽr sexpositive Pornografie ein. Sie ist MitbegrĂĽnderin der PorYes-Bewegung, die jedes Jahr einen feministischen Porno-Preis vergibt. Und die in Berlin lebende Produzentin, Regisseurin und Darstellerin Paulita Pappel hat eine Produktionsfirma gegrĂĽndet und eine Plattform fĂĽr Heim-Videos von echten Paaren ins Leben gerufen. Da geht’s um Authentizität und Intimität.

Mit alternativen Pornos können verschiedene Menschen ihre Lust erforschen, ohne die vom Patriarchat auferlegte Scham zu fühlen.

Das ist wichtig. Denn erstens verhindert Schamgefühl, dass man über etwas redet. Und, wie Paulita Pappel in einem Interview sagt, „Kommunikation ist die Basis von Konsens“. Und zweitens sind weibliche Körper eben nicht dafür da, männlichen Körpern Lust zu bereiten oder Kinder auszutragen – sie dürfen ausschließlich zu ihrem eigenen Vergnügen Sex haben und genießen. Scham-los. Einfach so.

Eine US-Umfrage aus dem Jahr 2020 hat übrigens ergeben: Frauen, die Pornos gucken, kommen leichter zum Orgasmus und erleben intensivere Höhepunkte. Nicht nur bei der Selbstbefriedigung, auch beim Sex mit anderen. Das hat unter anderem mit Akzeptanz und Selbstliebe zu tun.

Lust und sexuelle Fantasien sind individuell und vielfältig. Pornos können ein spannender Teil davon sein. Und sie verschwinden nicht aus unserer Welt. Sie haben aber auch politische Hintergründe und Auswirkungen. Heteronormative Mainstream-Pornos reproduzieren Stereotype und tendieren dazu, andere Perspektiven und Sexualitäten zu ignorieren.

Die entscheidende Frage lautet deshalb nicht: Darf ich noch Pornos gucken? – sondern vielmehr: Was fĂĽr Pornos gucke ich da eigentlich? 

Oder wie es die Feministin und Porno-Darstellerin Annie Sprinkle formulierte: â€žDie Antwort auf schlechten Porno ist nicht gar kein Porno, sondern guter Porno.“

Und eins ist eh klar: Wenn ihr gar keine Lust auf Sex oder auf Pornos habt, ist das natürlich auch völlig in Ordnung!

Wie erkenne ich sexpositive Pornos?

  1. Geld: Kostenlose Plattformen bieten vor allem Mainstream. Feministische Pornos kosten hingegen oft was. Das hat mit Arbeitsbedingungen und Bezahlung zu tun – entscheidend für fairen Porno. (Das macht aber nicht alles, was Geld kostet, automatisch fair!)

  2. Einvernehmen: Kommunizieren die Darstellenden miteinander? Ist der Sex gleichberechtigt? Und bei speziellen Praktiken: Wird zwischendurch gefragt, ob es den Personen gut geht? Gibt es ein Nachgespräch, in dem z. B. eine dominierte Person Raum für ihre Sichtweise bekommt?

  3. Interaktion: Wirken die Praktiken genuss- und lustvoll? Gibt es BerĂĽhrungen und Augenkontakt? 

  4. Vielfalt: Kommen nicht-heteronormative Sexualität und Diversität vor? Wird das auf Augenhöhe gezeigt?

  5. Transparenz: Gab es Frauen, weiblich gelesene oder weniger gehörte Menschen hinter der Kamera? Werden die Namen aller Mitwirkenden genannt? Arbeitet die Produktionsfirma mit Intimitätskoordinator*innen? Gibt es Infos zur Produktionsfirma?

WeiterfĂĽhrende Links und Tipps

Statistiken und Zahlen


Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter “Frau” und “Mann” berĂĽcksichtigen. 

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Bildquelle: charlesdeluvio auf Unsplash