Das kannst du gegen sexuelle Belästigung tun

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland gibt an, schon einmal in ihrem Leben am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein oder eine sexuelle Belästigung beobachtet zu haben. Fast die Hälfte der Frauen sagt: Ich bin bereits sexuell belästigt worden.

Sexuelle Belästigung ist also ein allgegenwärtiges Problem, das alle Geschlechter angeht. Und doch ist den Betroffenen häufig nicht klar, was sie tun können, wenn sie sexuell belästigt wurden oder werden. Denn es wird zu selten offen darüber geredet. Wut, Hilflosigkeit, Angst, Schuld und oft auch Scham – all diese Gefühle zusammengemischt führen dazu, dass das Thema noch immer ein Tabu ist. Um es hier aber noch mal in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Person, die belästigt wurde, trifft keine Schuld! Es sind die Belästigenden, die eine Grenze überschritten haben – sei es mit Worten, mit Gesten oder mit Berührungen.

Grundsätzlich sind alle Menschen in Deutschland vor sexueller Belästigung geschützt, egal ob bei der Arbeit oder in der Freizeit – durch das Grundgesetz, das Strafgesetzbuch, das Bürgerliche Gesetzbuch und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Als Basis aller Gesetze und Regelungen sind im Grundgesetz unter anderem das Recht auf Würde, die Freiheit der Person, die Gleichstellung der Geschlechter und die Berufsfreiheit festgeschrieben.

Das Strafgesetzbuch führt unterschiedliche Tatbestände auf, die sexuelle Belästigung betreffen und strafbar sind: Beleidigung, üble Nachrede, exhibitionistische Handlungen, Nötigung (auch sexuelle), Vergewaltigung. Seit 2016 ist dort sogar ausdrücklich sexuelle Belästigung als strafbar aufgeführt.
Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt, wie und in welchen Fällen Betroffene Ansprüche gegen die belästigenden Personen geltend machen können.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schreibt vor, dass alle Geschlechter gleich behandelt und gleich geschützt werden müssen. Es soll verhindern, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihres Alters oder aufgrund einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung benachteiligt werden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt zum Beispiel Arbeitnehmer*innen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Am Arbeitsplatz

Was Betroffene tun können: Eigentlich ist gesetzlich ganz klar geregelt, dass der* die Arbeitgeber*in die Angestellten vor sexueller Belästigung schützen muss. Doch da es sich um ein Thema handelt, das schambehaftet ist und das auch von den Vorgesetzten ausgehen kann, ist es am Arbeitsplatz für viele Betroffene nicht so einfach, Hilfe zu suchen und zu finden. Expert*innen raten, zuerst der betreffenden Person deutlich zu machen, dass sie eine Grenze überschritten hat. Da hilft es, wenn du deutlich, langsam und laut sagst, dass du dich sexuell belästigt fühlst – so laut, dass auch das Umfeld es mitbekommt. Zum Beispiel mit einem klaren, kurzen Satz wie: “Ich fühle mich belästigt.” Oder “Ich will nicht angefasst werden.”

Die belästigende Person zu konfrontieren, das mag in manchen Situationen möglich sein – in vielen anderen nicht. Vor allem, wenn ein Hierarchiegefälle vorliegt, die belästigende Person zum Beispiel ein*e Vorgesetzte*r ist oder schon viel länger in der Firma arbeitet. Dann kann es oft hilfreich sein, einen anderen Menschen ins Vertrauen zu ziehen und sich an die zuständigen Stellen innerhalb des Betriebs zu wenden: die Gleichstellungsbeauftragten, den Betriebs- oder Personalrat oder eine andere Person, die mit dem Thema beauftragt wurde. Wenn das Vertrauen in den eigenen Arbeitgeber/ die Arbeitgeberin nicht groß genug ist, ist die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die richtige Ansprechpartnerin. Das ist eine von der Bundesregierung eingerichtete Behörde, die per Mail oder Telefon erreichbar ist, die Expert*innen dort bieten Hilfe und Beratung an. Egal, an wen sich Betroffene wenden, entscheidend ist: sich Notizen zu machen, um die Vorfälle zu dokumentieren. Aufschreiben: Wann hat wer wo was getan? Gab es ggf. Zeug*innen?

Ein wichtiger Hinweis für alle, die den Vorgesetzten nicht trauen: Er oder sie ist arbeitsrechtlich gesetzlich verpflichtet, die Betroffenen zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Vorfälle aufhören. Passiert das trotz der Meldung der Vorfälle nicht, steht den Betroffenen ein schriftlich zu erklärendes Leistungsverweigerungsrecht zu. Sprich: Die Betroffenen können der Arbeit fernbleiben und haben Anspruch auf Bezahlung. Denn unter den Bedingungen der sexuellen Belästigung – egal ob durch Vorgesetzte oder Kolleg*innen – ist Arbeit nicht zumutbar. Wenn du diesen Schritt in Erwägung ziehst, solltest du dich aber unbedingt vorher durch eine Beratungsstelle wie die Antidiskriminierungsstelle beraten lassen. 

Was andere tun können: Für ein Klima sorgen, das sexuelle Belästigung nicht begünstigt. Das geht schon im Kleinen: einfach nicht mitlachen, wenn sexistische Witze gemacht werden. Der Person, die sexistische Sprüche macht, deutlich sagen, dass das nicht akzeptabel ist. Und auch erklären, was daran sexistisch ist – da kann zum Beispiel unser Archiv der „Schule gegen Sexismus“ helfen. Wer Zeug*in von Übergriffen wird: einschreiten, solange du dich nicht selbst in Gefahr bringt. Genauso wichtig: Wer vermutet oder sogar miterlebt, dass Kolleg*innen sexuell belästigt werden, sollte sie ansprechen und ihnen Unterstützung anbieten.

In der Freizeit

Auch in der Freizeit gilt: sexuelle Belästigung ist strafbar, die Basis und den Rahmen dafür geben ebenfalls das Grundgesetz, das Strafgesetzbuch, das Bürgerliche Gesetzbuch und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor. Aber anders als im Betrieb kann es gut sein, dass du die Person, die dich sexuell belästigt, nicht kennst und auch nie wiedersiehst. Zum Beispiel in einer Kneipe oder in einem Club. Am besten ist: In der Situation selbst laut und deutlich sagen, das du die Sprüche nicht hören willst oder die Berührungen nicht möchtest, die Person bewusst mit “Sie” anreden, um für Außenstehende die Distanz klarzumachen. Dann die Nähe von Freunden und Bekannten suchen. Bist du allein unterwegs, sprich umstehende Menschen an. Oder wende dich an das Personal hinter der Bar oder am Eingang. Auf Initiative der Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster hat sich in vielen deutschen Städten in Bars und Kneipen mittlerweile ein Code-Satz verbreitet: mit der Frage “Ist Luisa hier?” können Menschen, die sich sexuell bedrängt oder bedroht fühlen, den Mitarbeitenden signalisieren, dass sie Hilfe brauchen. Die Angesprochenen wissen dann Bescheid und schreiten diskret ein.

Wenn du in Bus und Bahn unterwegs bist, gilt im Grunde das gleiche: Laut vernehmbar das Verhalten der belästigenden Person zurückweisen, auch hier auf jeden Fall siezen, damit für alle klar wird, dass es sich um eine Situation zwischen zwei sich fremden Menschen handelt. Auf Abstand gehen und Umstehende laut um Hilfe bitten, sie entweder auffordern, die Polizei zu rufen oder selbst den Notruf wählen. In den meisten U-Bahnen und S-Bahnen gibt es die Möglichkeit, direkt Kontakt mit der*dem Fahrer*in aufzunehmen – neben der Tür befindet sich ein Knopf für eine Sprechverbindung, über die du den*die Fahrer*in um Hilfe bitten kannst. Wichtig ist, die Geschehnisse zu dokumentieren, sich also Notizen zu machen, was wo passiert ist, wie die Person ausgesehen hat und Ähnliches.

Um sich nachts vor möglichen Übergriffen zu schützen, ist es sinnvoll, sich in Bus oder Bahn nach vorne, also in die Nähe des*der Fahrer*in zu setzen. So ist die Chance größer, dass er*sie die Situation mitbekommt und Hilfe holen kann. Es ist auf jeden Fall gut, sich in die Nähe von anderen Frauen zu setzen. In vielen Städten werden außerdem günstige Nachttaxis für Frauen angeboten, die du dir zur Bushaltestelle bestellen kann – damit du auch auf den letzten Metern sicher nach Hause kommen kannst. 

Hier gilt ebenfalls: Wer etwas mitbekommt, kann helfen, indem er*sie in die Situation tritt (und so „stört“), Grenzen aufzeigt und der belästigten Person Hilfe und Unterstützung anbietet. Genauso wichtig ist aber auch: sich selbst keiner Gefahr auszusetzen, im Notfall die Polizei zu rufen, statt selbst einzugreifen.

Wer feststellt, dass eine fremde Person ungefragt unter den Rock oder in den Ausschnitt fotografiert: Das ist in Deutschland verboten. Es nennt sich „Upskirting“ und kann seit einer Gesetzesverschärfung im September 2020 mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Auch das Verbreiten solcher Fotos – zum Beispiel über WhatsApp oder in Social-Media-Kanälen – ist strafbar. Oft bekommen Betroffene gar nicht mit, dass sie gerade fotografiert werden. Deswegen ist es auch hier sehr wichtig, dass umstehende Menschen einschreiten, wenn sie etwas bemerken. Sie können entweder die Betroffenen darauf aufmerksam machen, dass da gerade jemand fotografiert. Oder direkt die Person ansprechen, die gerade das Foto macht.

Apropos Fotos: Wenn du unerwünschte Fotos von Genitalien geschickt bekommst, kannst du gegen den*die Absender*in Strafanzeige stellen. Das geht entweder in jeder Polizeidienststelle (dann aber besser vorher rechtlich beraten lassen) oder zum Beispiel über die Website „Dickstinction“, die die Daten an die zuständige Stelle weiterleitet. Was dazu nötig ist: ein Screenshot des Fotos, der Zeitpunkt, der Username oder die Telefonnummer des*der Absender*in und die Angabe, über welche Wege man das Foto geschickt bekommen hat.

Was bisher nicht strafbar ist: das anzügliche Nachpfeifen und Nachrufen, „Catcalling“ genannt. Das hat nichts mit Komplimenten zu tun, sondern es handelt sich dabei um sexuelle Belästigung. Doch bisher ist verbale sexuelle Belästigung im Gesetz nicht eigenständig geregelt. Es gibt eine Petition bei OpenPetition, die genau das zum Ziel hat und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auffordert, entsprechend gesetzgeberisch aktiv zu werden.

Beschimpfungen wie „Fotze!“ , die vielleicht wütende Autofahrer Radfahrer*innen hinterher schleudern, sind übrigens strafbar, obwohl es keine eigenständige Gesetzgebung zu verbaler sexueller Belästigung gibt. „Fotze!“ ist eine Beleidigung und kann genau wie „Arschloch“ oder „Idiot” zur Anzeige gebracht werden. Das Autokennzeichen notieren, Uhrzeit und Ort ebenfalls – und ab damit zur nächsten Polizeibehörde, um den sexistischen Brüller anzuzeigen.

Dass die Betroffenen wissen, wie sie sich wehren können, ist eine Sache. Doch im Kern müssen andere Verantwortung übernehmen: Gesetzgeber*innen, die sexuelle Belästigung klar definiert unter Strafen stellen und die Gleichberechtigung der Geschlechter fördern und Verstöße dagegen sanktionieren; Arbeitgeber*innen, die ihre Angestellten schützen und ein Klima schaffen, das sexuelle Belästigung gar nicht erst möglich macht; Schulen und Kitas, die in der Sexualerziehung von klein auf immer wieder das Thema Konsens aufgreifen und auch erklären, was sexuelle Belästigung ist und warum sie ein Problem ist. Letztlich sind wir alle gefragt. Das Ziel – leider noch in weiter Ferne: dass wir dem Nachwuchs eine gleichwertige Beziehung zwischen den Geschlechtern auf Augenhöhe vorleben, in der kein Machtgefälle existiert, das sexuelle Belästigung möglich macht.

Hinweis: Wir haben hier bewusst das Thema Online Harassment, also belästigende und bedrohende Kommentare, Posts, Nachrichten im Internet und auf Social-Media-Plattformen, ausgeklammert. Diesem Komplex werden wir uns in einem extra Schule gegen Sexismus-Text widmen.

Hilfreiche Links:

Tipps zum Kontern: https://rabatz946315382.wordpress.com/ueber/

Tipps der Gewerkschaft Verdi (mit rechtlichen Hinweisen): https://macht-immer-sinn.de/stark-gegen-sexuelle-belaestigung/

“Ist Luisa hier?”-Initiative in Kneipen, Bars und Clubs: https://luisa-ist-hier.de/ 

Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen – rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Nummer 08000 116 016 – https://www.hilfetelefon.de/

Hilfetelefon Sexueller Missbrauch – rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Nummer 0800 22 55 530 https://www.hilfeportal-missbrauch.de

Tipps der Polizei bei Belästigungen: https://www.aktion-tu-was.de/tu-was/gegen-belaestigung/

Anmerkung: Uns ist bewusst, dass der Text in Teilen nur eine binäre Perspektive darstellt. Hier geht es um die Erläuterung einer patriarchalen Geschlechterdynamik mit einem binären “Mann”-“Frau”-Gefälle, obwohl das längst nicht alle Menschen umfasst.

Bild: Unsplash

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 110.000 Menschen teilen!