Eine Kolumne von Nils Pickert
Der Mai ist da und mit ihm stehen die üblichen Verdächtigen vor der Tür: Muttertag und Vatertag nämlich, die Pinkstinks in der Vergangenheit immer wieder zum Anlass genommen hat, um stereotype und sexistische Werbung zu kritisieren. Das war auch wirklich nicht schwer. Alljährlich überbietet sich die Industrie zu diesen Anlässen, um Mutti mit Blümchen und pinkifizierten Pflege- und Putzprodukten zu überhäufen. „Danke“ sagt man eben am besten mit Nähmaschine, Bügeleisen und Staubsauger. Oder – auch das ein Klassiker – mit Fleisch in Herzchenform.
Vatertag war in der Vergangenheit allzu oft Bollerwagen, mobiles Besäufnis und Herrengedeck und hatte absolut nichts mit Vaterschaft zu tun.
Darüber zu berichten, war mir immer ein Grauen. Vor allem, weil Industrie und Werbewirtschaft vor keiner Absurdität zurückgeschreckt sind, um ihre Produkte zu verkaufen. Spätestens bei Toilettenpapier im „Muttertagsdesign“ fällt auf, dass die Lage ziemlich beschissen ist.
— Mareice Kaiser (@Mareicares) May 3, 2021
Vorsichtig formuliert bin ich also kein Fan von der Ausgestaltung dieser „Feiertage“. So wenig, dass ich alternativ schon einmal vorgeschlagen habe, stattdessen einen Kindertag abzuhalten. Einen Tag, an dem wir feiern, dass es Kinder gibt, ihnen sagen, wie toll sie sind und überprüfen, was wir im letzten Jahr im Kampf für Kinderrechte und gegen Kinderarmut geschafft haben, um ggf. nachzubessern. Gerade mit Blick auf Corona wäre so ein Tag mehr als nötig. Ich bin übrigens nicht der Einzige, der mit diesen Tagen Schwierigkeiten hat. Der Familienforscher Wassilios Fthenakis hat gerade erst den Vorschlag gemacht, Mutter- und Vatertag zu einem Familientag umzuwidmen „als Tag der Liebe, des Miteinanders, des Verständnisses und Respekts“. Besonders mit Blick auf den Muttertag konstatiert Fthenakis eine unrealistische Traditionalisierung bestehender Verhältnisse, die auf Mütter zu viel Verantwortung ablädt. In den transfeindlichen Ecken des Internets wird das natürlich einmal mehr zum Anlass genommen, sich über die „Abschaffung von Frau und Mutter“ zu echauffieren, weil Fakten wie mittlerweile üblich einfach gar nicht mehr mit dem eigenen Erregungspotenzial korrelieren.
Tatsächlich gehen sowohl Fthenakis als auch meine Idee bei genauerer Betrachtung nicht weit genug. Beide wurzeln immer noch in einer heteronormativen Familienaufstellung, die sich zwar Vielfalt wünscht und sie feiern möchte, zugleich aber einfach nur das klassische Mutti-Vati-Kernfamilienbild um ein paar Diversitätsaspekte erweiter will.
Das reicht nicht und wird der Realität nicht gerecht.
Familie findet auch in Co-Elternschaft, Wahlverwandtschaft, Regenbogenkonstellationen und queeren Kontexten statt. Familie ist dort, wo wir in Liebe Verantwortung übernehmen und uns verlässlich umeinander kümmern. Familie ist dort, um meine eigene Definition von Liebe heranzuziehen, wo sich Menschen ineinander beheimaten. Das sollten wir feiern. Dafür sollten wir mit aller Macht kämpfen, es in Ehren halten und unterstützen, wo und wie wir nur können. Familie ist das einander die Hände reichen über den Abgrund der Vereinzelung. Wem diese Hände gehören, entscheiden diejenigen, die sie ausstrecken und annehmen. Nicht der internationale Rat zur schicklichen Handreichungspraxis und auch nicht irgendwelche altertümlichen Texte, in denen Typen ihre Ignoranz und ihren Ekel darüber zementieren, wer sich alles womöglich die Hand geben könnte.
Deshalb wünsche ich mir, dass wir Familie feiern. Und zwar in dem Sinne, wie Familie unser Begriff für menschliche Beziehungskonstellationen ist, in denen sich Menschen in liebevoller, wertschätzender Verantwortung umeinander kümmern, sich halten und ermächtigen.
Familie ist, was du draus machst.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter “Frau” und “Mann” berücksichtigen.
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Bildquelle: unsplash/Kedar Gadge