Ihr habt es sicher mitbekommen: In der Auseinandersetzung um ein mögliches Verbot von sexistischer Werbung wird uns immer wieder vorgeworfen, wir würden damit Meinung und/oder Kunst zensieren. Überhaupt findet man uns widersprüchlich. Wieso finden wir einvernehmlichen Sex super, aber Sexismus ätzend? Warum haben wir nichts gegen Nacktheit, aber gegen die permanene Suggestion von weiblicher Verfügbarkeit? Wie können wir für stillende Brüste auf Facebook sein, aber gegen die produktzusammenhangslose Objektifizierung von weiblichen Körpern zu Werbezwecken?
Für uns ist der Unterschied ziemlich offensichtlich und selbsterklärend. Andere wollen hingegen immer wieder davon überzeugt werden, dass wir kein Nacktverbot erlassen wollen, um der Prüderie Vorschub zu leisten. Also nochmal: Pinkstinks schiebt keine Genitalpanik. Geni… was?
Doch, stimmt schon so. Angesichts der Tatsache, dass die Japanerin Megumi Igarashi wegen Verbreitung ihrer Vaginal-Kunst gerade zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, sollte dieser Begriff mal wieder aus der Mottenkiste der Performance Kunst hervorgeramt werden. Igarashi hat die Form ihrer Vulva nicht nur als Vorlage dazu benutzt, ein Kajak zu konstruieren,
Japanese artist Megumi Igarashi was arrested for creating art modelled on her own vulva #womensart pic.twitter.com/Y2JKq8BEeR
— #WOMENSART (@womensart1) February 15, 2016
sondern den Bauplan dafür anschließend auch noch öffentlich zugänglich gemacht. Ersteres sah das Gericht noch durch die Kunstfreiheit gedeckt. Mit letzterem aber befand es die Künstlerin für schuldig im Sinne der Verbreitung von obszönem Material. Die Daten seien möglicherweise geeignet, Menschen sexuell zu stimulieren. Nicht nur Igarashi findet das ausgesprochen fragwürdig.
Es geht um Kunst, es geht um Aneignung, es geht um die ironische Brechung von männlichen Blicken und Posen. Und letztlich auch um Befreiung. Megumi Igarashi bezeichnet sich bewusst als „böses Mädchen“, das etwas tut, was ihr die Gesellschaft nicht zugestehen will – Macht und Selbstbestimmung über ihre Genitalien und ihre Sexualität nämlich. Und genau an dem Punkt sind wir wieder bei der angesprochenen Genitalpanik. 1969 entwarf die österreichische Künstlerin Valerie Export ihre „Aktionshose: Genitalpanik“,
"Aktionshose Genitalpanik": Die gesellschaftliche Angst vor starker #Weiblichkeit. #1969 #ValiExport pic.twitter.com/fiM4Qzvfsi
— 🏳️🌈 (@lightyear2000) April 15, 2015
um die Gesellschaft künstlerisch mit ihrer Tabuisierung und ihrer gleichzeitigen Verwertung des weiblichen Geschlechts aufmerksam zu machen. Sie setzt damit den heteronormativen Fremdinszenierungen eine radikale Eigeninszenierung entgegen.
Unabhängig von persönlichen Geschmacksfragen muss Kunst so frei sein, sich auch auf diese Art und Weise der Gesellschaft zuzumuten. Ob sie nun „The Great Wall of Vagina“ abbildet
https://twitter.com/Abongile_Lel/status/729915935025463296
oder „Die Geburt eines Bildes“ visuell umsetzt – Kunst darf das. Und das aus guten Gründen. Ebenso wie Werbung aus guten Gründen reglementiert ist. Wer eine schrankenlose, vollkommen unreglementierte Werbung fordert, in der nach Lust und Laune diskriminiert und gelogen werden darf, der verwechelt Freiheit mit Beliebigkeit und Kunst mit Konsum. Diese Dinge können deckungsgleich sein. Müssen aber nicht. In diesem Sinne werden wir weiterhin ganz genitalunpanisch gegen Sexismus vorgehen.