Rassistische Kinderbücher

„Wer war eigentlich vor Efraim Langstrumpf König auf Taka-Tuka-Land?“ Als meine mittlerweile 15-jährige Tochter mich das fragte, war sie gerade 6 Jahre alt geworden und ich war einigermaßen perplex. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Dabei war die Antwort relativ naheliegend und sehr offensichtlich: Es gab keinen oder es ist genauer gesagt aus rassistischen Gründen für die Geschichte unerheblich. Denn es ist ja nicht nur so, dass der Vater von Pippi Langstrumpf im Original kein „Südseekönig“ ist, sondern mit dem allseits bekannten rassistischen Begriff bezeichnet wird. Es ist auch die Tatsache, dass er überhaupt König von Taka-Tuka-Land wird und alle Beteiligten davon ausgehen, dass es so sein muss. Der weiße Mann wird an Land gespült, zack, ist die Bevölkerung ihm untertan. Als Pippi ihn bei seinem Besuch in der „kleinen Stadt“ in Schweden vorstellt, tut sie das mit den Worten: „Das hier sind Tommy und Annika, und das hier ist mein Papa, Kapitän und Seine Majestät Efraim Langstrumpf.“ An der Körperkraft kann es übrigens nicht liegen – weder Pippi noch ihr Vater erheben Anspruch auf die Herrschaft über die Stadt oder gar Schweden, obwohl das ja nur folgerichtig wäre.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt treibt mich die Frage um, wieso sich mein eigener Rassismus für mich so kuschelig anfühlt. Warum ich ihn so ungerne loslasse und immer wieder Menschen reflexartig davon freispreche, rassistisch gehandelt, gesprochen oder geschrieben zu haben. Wohlgemerkt: Wenn ich sie kenne. Wenn ich ihnen gerne zuhöre oder mit Vergnügen lese. Mich über Ritter Rost und die Beschreibung von China als „Land der gelben Frau’n“ aufzuregen, fällt mir nicht schwer.

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Das liegt nicht unbedingt daran, dass der Rassismus hier besonders eklatant ist, sondern vielmehr daran, dass ich Ritter Rost noch nie leiden konnte. Aber die Bücher, Geschichten und Autor*innen, die mir etwas bedeuten, die verteidige ich instinktiv gegen Anwürfe und versehe diese in meinem Kopf mit dem Label „Unterstellung“. Dabei ist die Faktenlage fast immer eindeutig und wird doch von mir und vielen anderen immer wieder relativiert, verharmlost oder abgetan. Die Frage, ob Pippi Langstrumpf rassistisch ist, ist bei genauerer Betrachtung einfach nur lächerlich. Selbstverständlich ist das Buch in diesem und anderen Punkten rassistisch. Wir wollen es nur nicht aus der Hand legen und weiter ungestört daraus vorlesen können, ohne dass wir ständig daran erinnert werden, was uns längst klar sein sollte. Es war auch schon immer rassistisch und nicht erst in heutigen vorgeblich politisch korrekten Zeiten. Die Kriterien dafür bleiben substanziell gleich. Ebenso wie die zur Verharmlosung von sexualisierter Gewalt. Das hat mich aber kein bisschen daran gehindert, die ziemlich erschütternde Verniedlichung und Normalisierung von sexualisierter Gewalt gegen Jungen und Männer in den „Harry Potter“-Bänden zu überlesen. Weder die Tatsache, dass Voldemorts Vater von dessen Mutter unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wird, noch der Umstand, dass Drogen explizit für Mädchen vermarktet und an sie verlauft werden, damit sie Jungen „in sich verliebt machen können“, haben mich vom Vorlesen abgehalten. Das war alles irgendwie okay und sogar liebenswert. Genau wie Jim Knopf und ein gewisser Doktor Dolittle, der nicht nur mit Tieren sprechen kann, sondern auch einem Schwarzen Prinzen seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, endlich weiß zu sein.

Eigentlich türmt sich vor uns ein ganzer Berg antirassistischer Arbeit auf. Aber wir prokrastinieren, verschieben, diskutieren herum und relativieren: Wo fängt man da an, wo soll das aufhören, was denn noch alles, ich doch nicht, ganz schön frech von euch, ist doch nicht so gemeint, alles so anstrengend.
Die üblichen Strategien eben. Wir reden darüber, ob das Tilgen von rassistischen Begriffen übertrieben ist, obwohl es längst um „Kill your fucking racist darlings“ gehen müsste. Um unsere ganze Sprache und unser Denken. Um unsere abwertenden, ausgrenzenden Konstruktionen von „fremd“ und „anders“. Also wann fangen wir an?

Ja, es ist unbequem, sich dem eigenen Rassismus zu stellen. Besonders wenn er sich in Kindheitserinnerungen, nostalgischen Gefühlen, Lieblingsgeschichten und Beziehungen zu geliebten oder bewunderten Menschen verbirgt. In Dingen, die uns als unantastbar gelten. In uns.

Aber wie unbequem muss es erst für Betroffene sein, immer wieder nur zu Debattengegenständen degradiert zu werden. Zu Störfaktoren für ein hegemoniales Weißsein, das bitteschön endlich in Ruhe seine Geschichten lesen will. Zu Bittsteller*innen, denen wir nicht zuhören wollen, weil sie uns daran erinnern, dass wir in punkto Antirassismus eine Bringschuld haben. Apropos Bringschuld: Die Debatte über Rassismus in Kinderbüchern wird seit mehreren Jahren geführt. Bislang ist von der weißen Mehrheitsgesellschaft – und das schließt mich mit ein – nicht viel mehr gekommen als Aussagen darüber, was wir auf GAR KEINEN FALL tun werden.
Wann beginnen wir eigentlich damit darüber zu reden, was wir konkret dagegen unternehmen?

Bild: Pinkstinks Germany e.V.

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