Vor rotem Hintergrund ist eine männlich gelesene Person von hinten abgebildet, die eine Krone über ihren Kopf hält.

Das Patriarchat als Kulturtechnik

Eine Kolumne von Nils Pickert

Das patriarchalische Eheideal behauptet seine Herrschaft nicht nur im persönlichen Verhältnis der Gatten zueinander und zu ihren Kindern, es verschanzt sich vor allem auch hinter dem Wall des gesetzlichen Güterstandes, welches dem Herrenrecht des Mannes praktisch einen noch festeren Stützpunkt bietet, als selbst das prinzipiell so bedeutsame ehemännliche Entscheidungsrecht.

Max Weber

Für gewöhnlich beginne ich Texte nicht mit Zitaten aus Max Webers Wirtschaft und Gesellschaft. Zum einen sind wir hier nicht in einem Proseminar Soziologie. Zum anderen haben Soziologinnen wie Eva Cyba mit Geschlecht und soziale Ungleichheit Existenz und Wirkweise des Patriarchats sehr viel deutlicher herausgearbeitet als Max Weber. Hinter dem „prinzipiell so bedeutsamen ehemännlichen Entscheidungsrecht“ verbirgt sich nämlich Webers Annahme, die Frau sei dem Mann natürlich unterlegen. Oder wie er es formuliert: Das „haushörige Weib“ unterliegt der „physischen und geistigen Spannkraft des Mannes“. Wenn also jemand wie Max Weber schon diagnostiziert, dass sich das Patriarchat nicht nur in einer (von ihm behaupteten) Überlegenheit der Männer gegenüber Frauen in ihren persönlichen Verhältnissen manifestiert, sondern darüber hinaus auch mit Besitz, Gesetzen und Gesellschaftsstrukturen zu tun hat, sollte man meinen, dass bis auf einen harten Kern sexistischer Menschen alle wissend mit dem Kopf nicken, wenn vom Patriarchat die Rede ist.

Nur funktioniert das so nicht. Der harte Kern sexistischer Menschen ist die Mehrheit. Und tatsächlich muss man damit rechnen, auf Unverständnis und Ablehnung zu treffen, wenn man den Begriff „Patriarchat“ auch nur erwähnt. Landauf, landab wird, übrigens gerne auch von Frauen, maliziös lächelnd behauptet, das Patriarchat gäbe es gar nicht.

Schließlich würden Männer ja schuften. In den Krieg ziehen. Sich aufopfern, um die Familie zu ernähren, während ihre Frauen daheim sitzen und „nichts“ tun. Nun, da sind wir schon mittendrin. Denn erstens gehört es zu einem der Grundprinzipien des Patriarchats, weibliche Leistungen, Tätigkeiten und Interessen abzuwerten, beziehungsweise zu naturalisieren – zur sexuell verfügbaren Mutter Natur für Haushalt und Kinder quasi. Und zweitens bliebe die Frage offen, wie wir das Prinzip weltumspannender Männerherrschaft, das weder an Leistung, noch an Vortrefflichkeit oder menschliche Größe gekoppelt zu sein scheint, sonst nennen sollen: Zufall? Huch, ja weiß ich auch nicht? Göttliche Bestimmung?

Eine undifferenzierte Version des Patriarchat-Begriffs mag dafür tatsächlich nicht geeignet sein. Es hat gute Gründe, warum auch feministische Autorinnen wie die bereits erwähnte Eva Cyba oder auch Gudrun-Axeli Knapp, Sylvia Walby und andere kritisieren, wenn diverse Formen von Herrschaft, Unterdrückung, Manipulation und Gewalt unter dieses eine Schlagwort gefasst werden. Genauere Bestimmungen wie die des Heteropatriarchats oder auch der patriarchalen Weiblichkeit sind notwendig, um klarer beschreiben zu können, was war, was ist und was innerhalb von diesem System aller Wahrscheinlichkeit nach passieren wird. Trotzdem lohnt es sich, den Begriff des Patriarchats in seiner Bedeutung als Herrschaft von Männern oder des männlichen Prinzips immer wieder hervorzuholen und sich zu überlegen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Warum gibt es das? Wie wird es durchgesetzt? Was ist der Preis dafür? Wer bezahlt?

Die Biologin Meike Stoverock hat mit ihrem Buch über female choice einen interessanten Erklärungsansatz über Genese und Wirkweise vom Patriarchat aufgezeigt. Bei Menschen, so die These, findet intersexuelle Selektion wie bei vielen anderen Tierarten eigentlich so statt, dass aufgrund des höheren Elternaufwands Frauen ihre bevorzugten Partner wählen und Männer miteinander um eine möglichst gute Ausgangsposition innerhalb dieser Wahlmöglichkeit konkurrieren. Das System ist weit verbreitet. Wenn man nicht gerade ein weibliches Odinshühnchen ist, das mit auffallendem Gefieder und Revierverteidigungsverhalten um die Männchen dieser Gattung buhlt, dann sind es meist die Männchen verschiedenster Tierarten, die um die Weibchen balzen, was das Zeug hält.
Abgesehen von einigen lokalen, zeitlich begrenzten Ausnahmen (wie beispielsweise das matrilinear organisierte Volk der Mosuo im Südwesten Chinas) findet aber eine female choice bei Menschen praktisch nicht statt. Sie wurde und wird durch das Patriarchat ausgehebelt. Patriarchat wäre somit auch immer eine Kulturtechnik, die als Antwort auf eine von Männern missbilligte machtpolitische Ausgangslage zugunsten von Frauen diese zu einer Art beschädigte Ware erklärt, die froh sein kann, wenn Männer sich überhaupt für sie interessieren.
Diese Strategie befähigt Männer gleichsam dazu, über den Markt der Geschlechter zu schlendern, und das, was sie am dringendsten haben wollen, durch Abwertung möglichst günstig zu bekommen.

Du bist wertlos. Unrein. Verbraucht. Hässlich. Zu widerspenstig. Zu mächtig. Alt. Vorbelastet. Du hattest zu viele Sexualpartner. Du hast zu viele Kinder. Du bedienst mich nicht ausreichend und gehorchst nicht widerspruchslos.

Jede Frau, die schon einmal Opfer von Catcalling wurde (also praktisch alle), kennt das Phänomen eines live und in Echtzeit durchgeführten Aushebelungsversuchs der female choice: Hey Süße, na, zwinkerzwinker, du und ich, was meinst du, wie nein, du bist eh viel zu hässlich für mich! Erdrutschartig folgt aus der Anfrage über vorliegendes sexuelles Interesse auf männlicher Seite bei Ablehnung eine Kaskade an Abwertungen. Im Versuch, das eigene Selbstwertgefühl über die Auswirkungen der female choice zu erheben, werden Frauen als unwürdig markiert. Ihre überragende Bedeutung für diesen Selektionsprozess wird für bedeutungslos erklärt. Ihre Körper werden zur Verfügungsmasse. Ihre Willensbekundungen zu Nebensächlichkeiten.

Die Frage ist also nicht, ob es das Patriarchat überhaupt gibt. Die Frage ist, wo wir anfangen müssen, wenn wir es abschaffen wollen, und wann wir damit fertig sind. Die Antwort darauf ist so einfach wie ernüchternd: Einfach überall gibt es genug zu tun. Und erst, wenn wirklich alles auf den Prüfstand gestellt wurde, sind wir womöglich da raus. Darunter ist es nicht zu machen.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter „Frau“ und „Mann“ berücksichtigen. 

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