Gewaltdarstellung gegen sexualisierte Gewalt?

Bei Pinkstinks werden wir häufiger mit der Frage konfrontiert, ob das wirklich alles sein muss: All die Verweise auf sexistische Werbung, die ständigen Bilder von Kampagnen, die wir kritisieren und am liebsten weg haben wollen. Ist das nicht schlichte Reproduktion von Sexismus? Und die ernüchternde Antwort auf diese Frage lautet: Ja, bis zu einem gewissen Punkt. Ja, wir haben uns dazu entschieden, weil die Mehrheit der Gesellschaft selbst bei den krassesten Motiven mit den Schultern zuckt und sich fragt, was daran jetzt ein Problem sein soll. Zwischen notwendiger Sichtbarmachung/Sensibilisierung und diejenigen sein, die noch mehr sexistische Bilder ins Netz stellen, ist ein schmaler Grat.

Das Problem, vor dem die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten Baden-Württemberg mit ihrer Kampagne StopRape gerade steht, ist uns also vertraut. Gerade deshalb sprechen wir es an. Die LAG hat einen Kinospot finanziert und in Auftrag gegeben, der zeigen soll, wie alltäglich und furchtbar sexualisierte Gewalt ist. Weil sie etwas bewegen wollen. Die Frage ist, ob hier gut gemeint auch gut gemacht ist.

Ausdrückliche Triggerwarnung: Explizite Darstellung von (sexualisierter) Gewalt! (*** Update: Der Clip wurde entfernt)

https://www.youtube.com/watch?v=kXNKysOkKjU

Dieser Clip sorgt im Netz gerade ganz schön für Aufregung – und zwar nicht in der Art und Weise, die die LAG im Sinn hatte. Bis vor kurzem wurde er bundeslandweit ohne Triggerwarnung in den Kinos gezeigt. Erst nach sehr vielen kritischen Kommentaren, die teilweise vorschnell abgekanzelt und gelöscht wurden, ist das nachgebessert worden.

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Aber selbst mit Triggerwarnung besteht die reale Möglichkeit einer Retraumatisierung von Opfern sexualisierter Gewalt. Das ist im ursprünglichen Sinn kein Videoclip, bei dem man entscheiden kann, ihn nicht anzuklicken, sondern ein Kinospot. Ein Kinospot, mit dem die Verantwortlichen bewusst auch Jüngere erreichen wollten. Nicht nur die Expertinnen von Frauennotrufen finden das ausgesprochen problematisch. Auch sie begrüßen zwar das Engagement gegen sexualisierte Gewalt, hätten sich aber gewünscht, dass Fachexpertise in diesem Bereich zu dem Projekt hinzugezogen worden wäre. Denn nicht nur die Opferdarstellung ist fragwürdig. Selbst wenn man den Verantwortlichen darin folgt, dass der Spot Männer in den Blick nimmt und zur Einsicht bewegen soll, dass „kein Mann dies einem Menschen antun möchte“, bleibt völlig unklar, wie er das vermitteln will und an wen. Warum sollte Mann sich nicht mit jemandem identifizieren wollen, der ungestört und kontextlos die Botschaft „War super, war geil, alles kein Problem“ vermitteln kann?

Wo ist die Einbettung in Hilfsangebote, die NeinHeißtNein Gesetzesverschärfung oder juristische Konsequenzen? Wo bleibt die Täterächtung? Und wer ist für diese Bilder überhaupt Zielgruppe? Junge Männer, denen in genau so einem Fall nicht auffällt, dass sie vergewaltigen und nach dem Spot denken sollen „Hoppla, dann mach ich das mal besser nicht“? Klar ist auch das ein schwerwiegendes Problem: Täter, denen überhaupt nicht bewusst ist, dass sie sexualisierte Gewalt verüben, weil sie dafür nie sensibilisiert wurden. Das weitaus schwerwiegendere Problem dürften doch wohl aber diejenigen Täter sein, die wissen, was eine Vergewaltigung ist, und für sich das Recht zu vergewaltigen beanspruchen. Inwiefern werden die mit so einem Spot erreicht? Der Professor, der die Studierenden der HTWG Konstanz für diesen Filmprojekt angeleitet hat, bemerkt dazu: „Wir haben gemerkt, dass andere Kampagnen dem Kern der Erfahrung ausweichen.“ Selbst wenn das zutreffen sollte, muss sich diese Kampagne die Frage nach dem Wofür? gefallen lassen. Wofür inszeniert man eine realistische Vergewaltigung? Die ganze Kontextualisierung, die gedanklichen Auseinandersetzungen und Reflexionsprozesse, die die Studierenden zweifellos beim Erstellen des Clips hatten, soll nun der Betrachter vornehmen – auf Kosten der Betrachterin mit Gewalterfahrung neben ihm. Eine Facebooknutzerin bermerkt dazu:

Das Opfer hat keine Stimme. Der Täter triumphiert. Wem hilft so ein Spot?

Und eine Bloggerin hält fest:

Kriminell ist da gar nichts. Die Tat ist eine Nebensache, nicht weiter wichtig. Das soll der Prävention dienen?

Den Verantwortlichen bei all dem böse Absicht zu unterstellen, entspricht mit Sicherheit nicht den Tatsachen und ist wenig zielführend. Sie sind davon ausgegangen und gehen womöglich immer noch davon aus, dass sie einen wichtigen und richtigen Sensibilisierungsbeitrag geleistet haben. Mittlerweile haben sie erkannt, dass zumindest Gesprächsbedarf herrscht

und das Ganze nicht annähernd so unproblematisch verstanden wird, wie sie angenommen haben. Dass hier Studierende mit viel Arbeit ein Projekt von Frauen realisiert haben, deren teilweise jahrzehntelanges berufliches Wirken immer auch darauf abzielt(e), gegen sexualisierte Gewalt an Frauen zu arbeiten, sollte  nicht aus den Augen verloren werden. Aber gerade der Respekt vor dieser Arbeit wie auch die furchtbare Dimension des Themas sexualisierte Gewalt gebieten, sich kritisch mit einem Spot auseinanderzusetzen, der gut gemeint war, aber zu weit von gut gemacht entfernt ist.

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Update: Der Spot wurde zurückgezogen und aus den Kinos entfernt. Die Podiumsdiskussion wurde abgesagt.

stoprape-update