Womanizer oder Sexualstraftäter?

Man muss sich das einmal vorstellen: Ein sehr bekannter, reicher und preisgekrönter Schauspieler lädt junge Schauspielerinnen zu sich nach Hause ein, bietet ihnen Thunfischsandwich und Milch an und fragt sie wenig später am Telefon „Wann es passieren wird?“. Immerhin hätte er ihnen ja eine Karte geschickt, auf der steht, dass sie ihn anrufen sollen. Und außerdem sei er ja Jack Nicholson.

Über Nicholson existieren hunderte solcher Geschichten, die in der heutigen Post-MeToo-Ära maximal befremdlich wirken. Damals hießen Sexisten noch Womanizer, Player oder Playboy und fanden sich auf Listen der Lebenden Legenden des Sex wieder, auf denen Zeitschriften Männer führten, die mit besonders vielen Frauen Sex hatten. Männer wie Charlie Sheen, die Frauen Gerüchten zufolge „Komplimente“ machten wie: „Du bist definitiv eine der heißesten 1000 Frauen, die ich geknallt habe, Baby.“ Das alles war gesellschaftlich akzeptiert und geschah vor aller Augen. Über Jack Nicholson erschienen schon vor über 20 Jahren Artikel, die ihn als „maximal sexistisch“ bezeichnen, um sich anschließend rhetorisch zu fragen, warum man ihn nicht verabscheut.

Erfolg rechtfertigt keinen Sexismus

Die Formel für Akzeptanz war denkbar einfach: Erfolg + Talent + „Er ist eben Jack“. Sexismus und Frauenverachtung wurden einfach als Charaktermerkmal definiert, mit dem man klarkommen musste, weil man etwas von dem Talent wollte. Weil man ihm gerne bei Easy Rider oder Einer flog über das Kuckucksnest zuschaute. Er ist halt Jack. Der Mann, dessen bester Anmachspruch eigenen Angaben zufolge darin besteht, Frauen danach zu fragen, wann sie schwanger geworden wären, um sie „aus dem Gleichgewicht zu bringen“. Nichts an diesem Verhalten war ein Geheimnis. Dass Nicholson „Frauen wie Dreck behandelt“ war fortlaufender Bestandteil der Berichterstattung über ihn. Aber er war halt Jack. Er war auch super erfolgreich und super talentiert. Sehr charmant auf eine wölfische, raubtierhafte Art. Eben Jack.

So wie Playboy-Gründer Hugh Heffner eben Hugh war. Noch so ein alter sexistischer Mann, der seine ausufernde Frauenverachtung vor den Augen der Weltöffentlichkeit ausleben durfte, weil man es irgendwie als Charaktereigenschaft definiert hat. Als Heffner 2017 verstarb, hatte er ein Imperium aus der Herabwürdigung und dem „Missbrauch von Frauen errichtet„. Die Parties, die Heffner in seiner Villa schmiss. Die Fernsehsendung, die sein Leben mit einer Vielzahl von sehr jungen Frauen zeigte. All das war stets begleitet von einem Hintergrundrauschen aus Vorwürfen: Heffner soll Frauen unter Drogen gesetzt und sie gegen ihren Willen nackt fotografiert haben. Es ging um erzwungene Abtreibungen. Und immer wieder um sexualisierte Gewalt. Aber er war eben Hugh. Und diese jungen Frauen schmissen sich ihm ja freiwillig für Geld und Aufmerksamkeit an den Hals, oder etwa nicht?!

Es gibt drei Dinge, die an dieser Vorstellung bemerkenswert sind:

  • Sie belegt erstens, wie weit verbreitet Misogynie ist, wenn ernsthaft davon ausgegangen wird, Frauen könnten ihr Recht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung dadurch verlieren, dass sie sich in den Einflussbereich eines älteren, mächtigen Mannes begeben. Keine Frau hat jemals ihre Rechte abgegeben, weil sie von Jack Nicholson beachtet und gefördert werden wollte oder die Playboy Mansion betrat.
  • Zweitens zeigt sich hierbei überdeutlich, wie offenkundig das problematische Verhalten dieser Männer für die Umstehenden und Zuschauenden war. Wer Frauen ernsthaft vorwirft, sich auf diesen oder jenen Typen einzulassen, sollte sich fragen, warum man solche Typen immer wieder damit davon kommen lässt. Wieso wurden Männer mit diesem an Frauen gerichteten „Geh nicht in diesen Teil des Waldes, da lauert ein Wolf“ Konzept geschützt? Warum schützte „eben nur Jack oder Hugh zu sein“ Männer vor der Ächtung ihrer Mitmenschen, die diese obendrein auch noch lieber großzügig an die Frauen verteilten, die von diesen Männern zu Opfern gemacht wurden? Und warum geschieht das heute noch?
  • Denn das ist der dritte bemerkenswerte Punkt: Auch wenn wir uns in der Post-MeToo-Ära befinden sollten (eigentlich dauert sie noch an, denn wir sind noch lange nicht fertig mit aufräumen), haben die Jacks, Hughs und Charlies dieser Welt immer noch viel zu viel Beinfreiheit und Spielräume. Sie werden immer noch durch unser Wohlwollen geschützt und protegiert. Ganz offensichtlich reicht es nicht, bloß darauf zu warten, dass ein bestimmtes misogynes Frauenbild mit seinen Vertretern ausstirbt, um Frauenverachtung endlich zu begraben.

Grammys für Sexisten?

Vor wenigen Tagen hat der Comedian Louis C.K. einen Grammy für das beste Comedy-Album gewonnen. Ein Mann, der zuvor jahrelang vor weiblichen Angestellten masturbierte, ohne sich auch nur im Geringsten um deren Einverständnis zu scheren. Er ist sich des Wohlwollens seines Publikums sicher, weil er sich ein bisschen zerknirscht gibt und Anspielungen auf „diese Sache macht, die alle von mir wissen“.

Den Grammy für den besten Rapsong gewann übrigens eine Kollaboration von Kanye West mit Marilyn Manson. Mit einem dieser genialen Frauenschläger also, die für aller Augen sichtbar und mit vielen kleinen Helfern ihre Frauenverachtung ausleben dürfen.

Schluss mit Nachsicht bei Sexismus

Die Moral von der Geschichte ist nicht, dass Frauen sich nicht auf solche Männer einlassen sollten und wir einfach nur abwarten brauchen, bis die alten Obermachos wegsterben oder zu alt für ihre Beutezüge werden, damit sich das Problem von alleine löst. Die Moral von der Geschichte ist, dass sich dieses Problem niemals löst, wenn wir es nicht lösen. Sexismus und Frauenverachtung sollten sich nicht in Wohlgefallen auflösen dürfen. Sie sollten nicht in unserem Wegschauen wachsen können und mit Preisen behangen werden. Damit wir uns nicht mehr bequem hinter „Er ist eben Jack/Hugh/Charlie/Louis/Brian“ verstecken und endlich anfangen zu fragen, was zur Hölle mit dem Typen los ist und wieso er meint, mit diesem Verhalten davonzukommen. Dann, erst dann sind wir vielleicht wirklich irgendwann einmal in einer Post-MeToo-Ära angekommen.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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Bildquelle: FrankyDeMeyer/iStock