Jede Person mit einer Vagina hat Ausfluss. Das ist total normal und gesund. Trotzdem fühlen sich viele Menschen mit Ausfluss unwohl und wollen ihn loswerden. Aber das schadet der Gesundheit – und nützt dem Patriarchat.
Manchmal ist der Fleck weiß, mal blassgelb, mal kaum sichtbar – aber Ausfluss kommt in der besten Unterhose vor. Das ist weder eklig noch schmutzig. Doch die Werbung suggeriert anderes: Damit aus der Vagina ja nichts tropft, was womöglich auch noch irgendwie riecht, werden Dinge wie duftende Waschlotionen, parfümierte Slipeinlagen, Sprays, Spezialunterwäsche, Intimduschen, Essig-Einläufe oder auch das berüchtigte Jade-Ei von Gwyneth Paltrows Lifestyle-Shoppingtempel Goop angepriesen. Ziel: ein möglichst Pfirsich-frisches, klinisch-reines Geschlechtsorgan.
Aber Vulva und Vagina sind kein Krankenhauslaminat, von dem mit Spezialreiniger 99,9 Prozent aller Bakterien entfernt werden müssen. Im Gegenteil: Bestimmte Bakterien sind entscheidend für die Gesundheit der Vagina und die Balance kann ziemlich empfindlich sein. „In einer gesunden Vaginalflora erkennen wir unter dem Mikroskop viele kleine Helfer, die uns im Alltag vor nervigen Bakterien und anderen Sachen schützen“, erklärt die Gynäkologin und Autorin Sheila de Liz in ihrem Buch „Unverschämt: Alles über den fabelhaften weiblichen Körper“. Dabei handelt es sich um Milchsäure- oder Laktobazillen, die von Natur aus vorkommen. Laut Dr. de Liz ist Ausfluss „das Selbstreinigungsprogramm der Vagina“ und ein Zeichen dafür, dass alles gesund ist – und bleibt: „Er hält sie feucht und bietet so eine Schutzbarriere gegen Bakterien, nicht unähnlich der Nasenschleimhaut“, so die Gynäkologin. So können sich keine Pilze und ungebetene Bakterien ausbreiten.
Ausfluss ist nicht etwa eine Art modriges Abwasser, sondern vielmehr das natürliche Produkt eines gesunden Organs. „Ausfluss“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung, Ärzt*innen sprechen auch von „Zervix-Schleim“. Üblicherweise besteht er aus ein paar abgestorbenen Zellen der Vaginalhaut, ein bisschen Gebärmutterhalsschleim und ein wenig von einer Flüssigkeit, die von den Gefäßen durch die Vaginalwand sickert. Er kann außerdem hilfreiche Hinweise auf den Zustand in der Vagina geben.
Statt sich dafür zu schämen, lohnt sich daher genaueres Hinschauen. Gesunder Ausfluss kann verschiedene Farben und Konsistenzen haben. „Der Ausfluss, medizinisch Fluor genannt, kann transparent, hellweiß, dunkelweiß bis gelblich oder gelb sein“, schreibt Dr. de Liz, „an manchen Tagen sieht er aus wie zäher Schnodder und an anderen wie feste Nasenpopel.“ All das ist total normal und hängt unter anderem mit dem Zyklus zusammen. Die Gynäkologin rät dazu, den Fleck in der Unterhose „wie einen kleinen Post-It der Vagina“ zu verstehen. Auf dem steht entweder, dass alles okay ist – oder, dass etwas nicht stimmt. Das kann zum Beispiel bei einer Infektion der Fall sein. „Wenn der Ausfluss strenger riecht, vielleicht nach Fisch oder Abfall, kann sich dahinter ein bakterieller Infekt verbergen“, so Sheila de Liz. Dann ist ein Besuch bei dem*der Gynäkologin*in angesagt.
Doch um das überhaupt richtig erkennen und einschätzen zu können, muss der Normalzustand bekannt sein. Das wiederum geht aber nicht, wenn Ausfluss konsequent ignoriert und eifrig beseitigt wird. Deshalb ist das mit dem untenrum klinisch rein wirklich gar keine gute Idee.
Statt zu versuchen, den normalen Vulva-Geruch und Ausfluss zu bekämpfen, ist bei der Intimpflege Zurückhaltung angesagt. Lieber vorsichtig mit der Hand als wild mit dem Waschlappen. Wasser ist okay, aber jede Form von Seife gehört, genau wie Chlorwasser und Antibiotika, zu den Erzfeinden der Milchsäurebakterien. Zu viel waschen kann die gesunde Balance der Vaginalflora stören.
Doch woran liegt es, dass sich so viele weibliche Personen am liebsten ihres Ausflusses entledigen und, wenn überhaupt, am ehesten nach Sagrotan oder Febreze duften würden? „Viele Mädchen und Frauen verunsichert vaginaler Ausfluss. Wenn wir Glück haben, lernen wir schon in der Pubertät, dass die weißen bis gelben Flecken im Slip völlig normal sind. Viel häufiger aber wird der Ausfluss mit Schmutz assoziiert, und daher fällt es vielen von uns schwer, sich damit zu arrangieren“, schreibt Sheila de Liz in ihrem Buch.
Die Abneigung gegen Ausfluss und die damit einhergehende Scham ist also erlernt.
Zu diesem Schluss ist 2017 auch eine englischsprachige Studie mit dem (übersetzten) Titel „Die genitale Körperarbeit der Frau: Gesundheits-, Hygiene- und Schönheitspraktiken bei der Herstellung idealisierter weiblicher Genitalien“ gekommen. Darin schreiben die beteiligten Forscher*innen: „Die weiblichen Genitalien werden als körperlicher Ort konstruiert, der ständiger Überwachung, Pflege und Modifikation bedarf, um den sozialen Normen zu entsprechen.“
Es geht bei Ausflussvermeidung nicht um Hygiene, sondern darum, sich gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Da schließt sich direkt die Frage an: Welche sind das und woher kommen sie?
Die Wissenschaftler*innen berufen sich in ihrer Studie auch auf andere Untersuchungen. Demnach wird ein „gutes“ weibliches Genital in westlichen Gesellschaften als möglichst „haarlos, mädchenhaft, symmetrisch und fake“ definiert. Das hat Gründe: Diese Erwartungen schränken weibliche Sexualität ein, belegen sie mit Scham – und kontrollieren sie so. Das ist im Patriarchat ganz entscheidend. Unter anderem, damit männlicher Besitz auch nur an die eigenen biologischen Nachkommen weitergegeben wird. Scham als Kontrollinstrument funktioniert: Personen mit Vagina gaben laut der Studie in Befragungen an, dass ihr Körper „routinemäßig überprüft und gepflegt“ werden müsste, um sicherzustellen, dass er nicht zu haarig, stinkend und „außer Kontrolle“ wäre. Zur Sauberkeit gehörte für die Befragten auch die Abwesenheit von Ausfluss. Dabei war es ganz egal, wie viel Aufwand sie betrieben – sie fühlten sich nie sauber genug. Und obwohl die Regale in Drogerien voll sind mit Intimpflegeprodukten für weibliche Genitalien, konnte keine der Interviewten auch nur ein entsprechendes Produkt für maskuline Geschlechtsteile aufzählen.
Unter dieser Besessenheit mit „Sauberkeit“ von Vulva und Vagina können nicht nur das Selbstwertgefühl und die sexuelle Freiheit femininer Menschen leiden, sondern auch die Gesundheit. Laut wissenschaftlicher Untersuchungen gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Vaginalduschen und Krankheiten wie zum Beispiel bakterieller Vaginose. Und das ist es nun wirklich nicht wert.
Ausfluss ist die natürlichste Sache der Welt und gehört zu den gesunden und normalen Körperfunktionen. Vulva und Vagina brauchen weder Dampfbäder, Spezialreiniger, Duftwässerchen noch Jade-Eier. Um normalen Ausfluss aufzufangen, reicht die Unterhose. Dass das als schmutzig und tabu gilt, hat mit unterdrückenden Normen zu tun. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle Personen mit einer Vagina klarmachen: Ausfluss ist nicht eklig, sondern wichtig und gehört zum weiblichen Körper. Let it flow!
Wir möchten euch noch diesen empowernden und sexpositiven Song „WAP“ der US-amerikanischen Rapperinnen Cardi B und Megan Thee Stallion über „wet ass pussys“ ans Herz legen, der letzten Sommer für Furore gesorgt und viele Konservative in Panik versetzt hat:
Weiterführende Links:
Der Youtube-Kanal von Sheila de Liz
Bildquelle: Pinkstinks Germany e.V
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