Was ist eine Frau? Ein Artikel von Nils Pickert über die transfeindliche Doku von Matt Walsh.

Was ist eine Frau?

Eine Kolumne von Nils Pickert

Triggerwarnung: Der folgende Inhalt behandelt das Thema Transfeindlichkeit.

Mit der Frage danach, was genau denn nun eine Frau ausmacht, hat sich der rechtskonservative Autor und politische Kommentator Matt Walsh in den vergangenen Monaten und Jahren bei Leuten beliebt gemacht, die Transgender für eine „Ideologie“ halten und trans* Menschen für Geschlechtsdarsteller*innen, die sich aus welchen Gründen auch immer mit dem, wie und was sie sind, nicht wohlfühlen. 2022 erschien eine „Dokumentation“ von Walsh mit dem Titel What Is a Woman, in der er gegen die „Genderideologie“ Stellung bezieht. Walsh bemüht sich im Film darum, die teils weitschweifigen, komplexen und widersprüchlichen Definitionen von Befragten darüber, was denn nun genau eine Frau sei, möglichst absurd und lächerlich wirken zu lassen. Das gelingt ihm ziemlich gut. Mit seiner Punchline-Frage und seinem entspannten Gesichtsausdruck schafft er es ein ums andere Mal, dass sich auch Expert*innen in Erklärungen verstricken lassen, denen kaum jemand folgen kann. Walsh geht eine Allianz mit seinem trans*feindlichen Publikum ein, die darauf hinausläuft, dass „wir alle“ ja eigentlich ganz genau wüssten, was eine Frau ist. Deshalb könnte es doch ganz nützlich, lustig und unterhaltsam sein, diese ganzen Genderdullis mit ihrem Gefasel von wegen trans* vorzuführen.

Elon Musk gefällt das, da es angeblich der Film ist, von dem laut Werbeslogan SIE nicht wollen, dass du ihn siehst. Weil das ein brandneuer, noch nie da gewesener rechter Trick ist, kann man da schon mal drauf reinfallen.

Joanne K. Rowling findet das ebenfalls dufte. Und viele andere auch. Warum eigentlich? Ein Typ, der Animes für „satanisch“ hält, und das nicht weiter erklären kann, soll also ein ernstzunehmender Gesprächspartner über Geschlechterfragen und -definitionen sein? Ein Typ, der sich darüber aufregt, dass die fiktive Kunstmärchenfigur Kleine Meerjungfrau von der schwarzen Schauspielerin Halle Bailey gespielt wird, weil es laut ihm von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen keinen Sinn mache, dass jemand mit dunklerer Haut auf dem Meeresgrund lebt, vielmehr müsste Arielle dann durchsichtig sein, hat zur Genderdebatte etwas Sinnvolles beizutragen? Jemand, der Menschen, die sich darum bemühen, die Identität ihrer Mitmenschen anzuerkennen, in besagtem Film als „Kinderschänder“, „Gift“ und „Raubtiere“ beschimpft, weil ihm ihre Antworten auf seine Fragen nicht gefallen, soll über irgendeine Art Expertise zu diesen Themen verfügen?
Schauen wir uns die Funktionsweise der Wunderfrage von Matt Walsh doch einmal genauer an, indem wir eine ähnliche Frage stellen, die sicher von allen mindestens genauso leicht zu beantworten ist:

Was ist ein Fisch?

Fische sind natürlich aquatisch lebende Wirbeltiere, deren Atmung über Kiemen erfolgt – weiß man doch! Naja, aber Schleimaale sind kieferlose Rundmäuler, deren „Wirbel“ sich auf ein bisschen Knorpelmasse um den Kopf und ein paar Knorpelfäden beschränkt. Zählt das dann? Schlammspringer sind amphibisch lebende Fische, die die meiste Zeit außerhalb des Wassers verbringen – und das, obwohl sie über Kiemen atmen und zugleich im Wasser ertrinken können. Lungenfische sind sogenannte Doppelatmer, weil sie nicht nur über Kiemen, sondern auch über Lungen verfügen. Tja, was noch? Vielleicht sind es die paarweise angeordneten Flossen, die Fische ausmachen. Die haben Neunaugen allerdings nicht. Sind die deshalb nur fischähnlich? Aber die wurden doch 2012 zum Fisch des Jahres ernannt. Häh? Und wieso gibt es ein Sternbild Walfisch, wenn Wale keine Fische sind. Okay, okay, aber wir haben doch alle in der Schule gelernt, dass Fische Kaltblüter sind, oder? Immerhin steht bei Wikipedia, dass alle Fische wechselwarm sind. Aber Thunfische und Schwertfische können in Teilen ihres Körpers die Temperatur erhöhen. Und der Gotteslachs ist sogar ein echter Warmblüter. Ist der deswegen jetzt kein Fisch mehr?

Es ist, wie der Biologe Forrest Valkai auf die Frage, ob Geschlecht binär ist oder nicht, sagt:

Die Natur ist immer komplexer und größer als die Modelle und Konzepte, die sich Menschen ausdenken, um sie zu erklären und zu beschreiben. Sie interessiert sich auch nicht dafür, ob sie von uns erdachte Kategorien sprengt. Ob wir Schwierigkeiten haben, den gleichwarmen Gotteslachs weiterhin als Fisch einzuordnen, ist für die Tatsache Gotteslachs vollkommen unerheblich.

Wenn wir Aberglaube, Unwissen, Vorurteile und Wunschdenken überwinden wollen, gehen wir Menschen dorthin, wohin uns die wissenschaftliche Datenlage führt. Und die ist, um hier den Bogen zurück zur Ursprungsfrage von Matt Walsh zu schlagen, in Bezug auf Sex und Gender ausgesprochen differenziert. Eine komplizierte, verwickelte, möglicherweise widersprüchliche Definition dessen zu geben, was eine Frau (oder auch ein Mann) ist, stellt kein Scheitern dar. Es zeigt auch nicht an, dass es sich die definierende Person „zu leicht macht“ oder „nicht sagen will, was ist“. Die Antwort auf die nur scheinbar einfache Frage, was eine Frau ist, fällt nur deutlich komplexer aus als sich Matt Walsh und zu viele andere vorstellen können oder wollen.


Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter „Frau“ und „Mann“ berücksichtigen. 

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Bildquelle: Pinkstinks Germany e. V.