Nein, nicht alle Männer. Nicht alle Männer vergewaltigen, plündern, zetteln Kriege an, lügen sich in ihrer ganzen Mittelmäßigkeit die Karriereleiter hoch, prellen Unterhalt, mansplainen, benehmen sich übergriffig, wiederholen in Konferenzen einfach was Frauen sagen und heimsen dafür die Lorbeeren ein. Nicht alle Männer schlagen und/oder töten ihre (Ex) Partnerinnen. Anscheinend muss das immer wieder gesagt werden. Bei jeder Debatte, jedem Aufschrei, jedem Hinweis auf Sexismus, Misogynie und sexualisierte Gewalt. Wann immer jemand dazu ansetzt, problematische Männlichkeitskonzepte als, nun ja, problematisch zu benennen, als strukturell übergriffig und toxisch, geht es los: Wie kannst du nur, was soll die Verallgemeinerung, noch nie bin ich so beleidigt worden, Männerfeindlichkeit1!!11!, Hashtag #notallmen.
Die Sache ist nur die, dass bei einem strukturellen Problem eine Haltung wie #notallmen nicht ausreicht. Es mag ja sein, dass es sich im ersten Moment irgendwie nicht gut anfühlt, als Student zur Teilnahme an einem Workshop zum Thema Einvernehmlichkeit aufgefordert zu werden, weil man(n) sich dadurch „in eine Ecke gestellt sieht“ wie George Lawlor 2015. Denn ja: Genau so kann ein Vergewaltiger aussehen.
Wie der beste Freund, der Partner, der Fahrschullehrer, der Sportvereinstrainer, der Hausmeister, der Barkeeper, der Vater oder der Bankberater. Wie jedermann. Darum geht es ja.
Not all men steht ganz außer Frage. Selbstverständlich nicht alle Männer. Aber weil es ein strukturelles Problem ist, könnte es jeder sein. Wenn Betroffene selbst in ihren eigenen vier Wänden nicht sicher sind, wenn sie immer wieder verdächtigt werden, als Opfer doch auch irgendwie Schuld zu sein, wenn sexualisierte Gewalt systematisch verharmlost wird und gleichzeitig eine tragende Säule der Gesellschaft ist, dann ja: Alle Männer!
Schließlich schnallen wir uns auch an, obwohl wir nicht jedes Mal einen Autounfall haben und nicht alle Verkehrsteilnehmer*innen mit überhöhter Geschwindigkeit rasen. Wir haben Schwimmwesten unter Flugzeugsitzen, obwohl wir vermutlich nicht abstürzen und wenn, dann womöglich nicht über Wasser. Wir ergreifen umfassende Coronaschutzmaßnahmen, obwohl unser Gegenüber womöglich gar nicht infiziert ist. Und ja: Sexualisierte Gewalt insbesondere gegen Frauen ist eine weltumspannende Pandemie, weswegen ein Coronavergleich hier durchaus angebracht ist.
Solange Männer andere Männer nicht zur Verantwortung ziehen, Sexismus als Strategie ablehnen, Übergriffigkeit und Gewalt ächten und bereit sind, Feuer ans Patriarchat zu legen, haben Frauen aus überlebensstrategischen Gründen kaum keine andere Wahl, als nach dem Motto Yes, all men! zu agieren. Zweifellos ist das für Männer ausgesprochen unangenehm. Wer lebt schon gerne in einer Gesellschaft, in der Frauen nachts die Straßenseite wechseln, obwohl man vollkommen harmlos ist? Das ist eine wichtige Frage. Noch viel wichtiger ist allerdings die Frage, wer gerne in einer Gesellschaft lebt, in der sie nachts die Straßenseite wechselt, weil ihr ein Mann entgegenkommt und sie einfach schon zu viele Erfahrungen mit Belästigungen, Übergriffen und Gewalt machen musste. Ihr also nur allzu klar ist, was die Situation für sie bedeuten kann.
#Notallmen ist keine brauchbare Strategie, um dieses Problem zu lösen. Yes, all men hingegen schon. Denn nicht alle Männer sind Täter. Aber nur wenn alle Männer sich verantwortlich dafür fühlen, Sexismus und sexualisierte Gewalt zu klar zu benennen, zu verurteilen und zu ächten, haben Frauen vielleicht irgendwann nicht mehr das Gefühl, die Straßenseite wechseln zu müssen.
Anmerkung: Uns ist bewusst, dass der Text nur eine cis-Perspektive darstellt. Hier geht es um “Männer” und “Frauen”, obwohl das längst nicht alle Menschen umfasst – es gibt mehr als nur diese beiden Geschlechter. Wir setzen uns hier mit gesellschaftlichen Konstruktionen auseinander, die noch immer auf “männlich” oder “weiblich” basieren und wollen diese hinterfragen.
Quelle: Unsplash
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