Weg mit § 218 StGB

§ 218 – Mein Körper, meine Entscheidung?

TW: Schwangerschaftsabbruch, sexualisierte Gewalt

Als Mitglied im bundesweiten Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung kämpft PINKSTINKS für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und damit für die Streichung des § 218 StGB.

Bei vielen Themen rund um Körper ist mittlerweile klar, dass das niemanden etwas angeht. Tattoos, Piercing, Styling oder Organspendeausweis – dein Körper, deine Entscheidung. Fertig. 

Es gibt allerdings eine Entscheidung, die Frauen und gebärfähige Personen nicht frei treffen können: ob sie eine Schwangerschaft abbrechen. Wieso ist das so?

Moment, einen Schritt zurück. Es werden doch aber Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchgeführt. Dann ist das doch auch die freie Entscheidung der Betroffenen, oder nicht?

Um besser zu verstehen, warum wir bei diesem Thema nicht von freien Entscheidungen sprechen können, müssen wir uns unterschiedliche Punkte anschauen.

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Wie sieht es rechtlich aus?

Der wichtigste Punkt, der den meisten Einfluss auf diese Entscheidung hat, ist die Rechtslage in Deutschland. Denn der § 218 StGB legt fest, dass Schwangerschaftsabbrüche strafbar sind. Genau, richtig gelesen. Illegal. Dieser Paragraf gilt seit 1871. ACHTZEHNHUNDERTEINUNDSIEBZIG. 

Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 218 StGB Abs. 1

Die Strafe betrifft auch Ärzt*innen, die den Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Das ist schon mal kein so gutes Gefühl, sich für etwas zu entscheiden, was strafbar ist. Für Ärzt*innen nicht und für (ungewollt) Schwangere erst recht nicht.

Nur unter bestimmten Bedingungen bleibt ein Abbruch straffrei, das ist dann in § 218a geregelt. Dazu kommen wir gleich noch. 

Und wenn wir uns die weiteren Paragrafen anschauen, wird deutlich, wie viel Einfluss die Gesetzgebung auf die Entscheidung der (ungewollt) Schwangeren nimmt. In § 219 geht es um die sogenannte »Schwangerschaftskonfliktberatung«, die alle Schwangeren in Anspruch nehmen müssen, wenn sie einen Abbruch vornehmen lassen wollen. Konkret steht dort: »Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen […].«

Es handelt sich um keine neutrale Beratung. Schwangere sollen per Gesetz dazu gebracht werden, die Schwangerschaft fortzusetzen. Freie Entscheidung, my ass. 

Der Staat will ein Kind von dir! Wusstest du, dass § 218 schon bei der Gründung des Deutschen Reichs 1871 ins neue gemeinsame Strafgesetzbuch aufgenommen wurde? Die Wissenschaft dachte damals, dass bereits bei der Befruchtung Leben entsteht – die Kirche ging von einem späteren Zeitpunkt der “Beseelung” aus. Das neue Gesetz stellte also Schwangerschaftsabbrüche ab der Empfängnis unter Strafe. Bis in die 1960er Jahre ging es dem Staat vor allem um bevölkerungspolitische Fragen. Er sicherte sich so ein Mitspracherecht über “seine” zukünftigen Bürger*innen. Erst ab 1969 war ein Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen straffrei. 1974 stimmte der Bundestag für die Fristenlösung: Alle Abbrüche, die mit Einwilligung der Schwangeren bis zur 12. Woche von einem*r Ärzt*in durchgeführt werden, sollten straffrei bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fristenlösung für verfassungswidrig erklärt. Seit 1976 gilt die heutige Form des § 218.

Unter bestimmten Bedingungen bleibt der Abbruch straffrei:

  • Die schwangere Person verlangt nach einem Abbruch und nimmt an einer »Schwangerschaftskonfliktberatung« teil.
  • Es müssen mindestens 3 Tage zwischen Beratung und Eingriff vergehen. 
  • Der Abbruch muss von Ärzt*innen vorgenommen werden. 
  • Der Abbruch darf nicht nach der 12. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden. 

Zusätzlich kann ein*e Ärzt*in medizinische Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch feststellen, etwa wenn eine Gefahr für das Leben der Betroffenen besteht oder wenn körperliche und seelische Beeinträchtigungen der schwangeren Person zu befürchten sind. Dann kann der Abbruch auch nach der 12. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden. Wenn eine Person in Folge von sexualisierter Gewalt schwanger wurde, ist ein Abbruch auch nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche möglich. 

Es klingt auch ganz logisch, dass Betroffene drei Tage Zeit haben, um nach der Beratung über die Situation nachzudenken. Aber wenn wir genauer hinschauen, behindern die Bedingungen eine freie Entscheidung mehr, als dass sie nützen. 

Zuerst einmal müssen Betroffene sehr schnell feststellen, dass sie schwanger sind. Ein erster Verdacht regt sich meist nach Ausbleiben der Periode. Bis dann ein Termin in einer gynäkologischen Praxis für eine Bestätigung der Schwangerschaft stattfindet, können noch einmal mehrere Tage vergehen. 

Wenn die Schwangerschaft bestätigt wurde und ein Fortführen nicht in Frage kommt, gilt es die nächsten Hürden zu nehmen. Zwar ist im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt, dass ausreichend Beratungsstellen pro Bundesland vorhanden sein müssen, allerdings sind viele Stellen, die z. B. in der Google Suche auftauchen, nicht staatlich anerkannt. Sie wirken auf den ersten Blick seriös, werden dann aber von ProLife-Anhänger*innen (sogenannte Lebensschützer*innen) mit dem klaren Ziel betrieben, die Schwangeren zu einem Fortführen der Schwangerschaft zu überreden. Oft passiert das, indem Betroffenen ein schlechtes Gewissen eingeredet und sie mit ihrer »falschen« Entscheidung konfrontiert werden. So sollte nicht mit Menschen in einer Notsituation umgegangen werden. 

Parallel müssen Betroffene oft schon nach gynäkologischen Praxen suchen, in denen sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können. 2024 leben rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland außerhalb einer angemessenen Erreichbarkeit zur nächsten Praxis. Das bedeutet, dass für diese Menschen eine Praxis, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführt, mit dem Auto nicht innerhalb von 40 Minuten erreichbar ist. Nicht alle Betroffenen haben das Geld, die Zeit und das soziale Netz, um so weite Strecken zurücklegen zu können

Insgesamt kann sehr viel Zeit vergehen, vom ersten Verdacht einer Schwangerschaft bis zum Termin für einen Abbruch. Zeit, die ungewollt Schwangere oft nicht haben, weil sie innerhalb der 12-Wochen-Frist handeln müssen. Es entsteht ein unglaublich hoher psychischer Druck, der durch das Tabu und die Stigmatisierung noch erhöht wird. 

Doch wieso nehmen immer weniger Ärtz*innen Abbrüche vor? Das hat gleich mehrere Gründe: Zum einen können ethische und religiöse Beweggründe dahinter stecken. Zum anderen werden Ärtz*innen immer wieder bedroht oder beschimpft. Und dass laut § 218 StGB auch Strafen drohen können, macht die Sache natürlich nicht leichter. Vor allem liegt es aber daran, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht zur Standardausbildung im Medizinstudium dazu gehören. Es ist in Deutschland möglich, Gynäkolog*in zu werden, ohne je die Methoden für Schwangerschaftsabbrüche gelernt zu haben. Bei ähnlich häufigen medizinischen Eingriffen undenkbar.

Was sagen Gesellschaft und Politik dazu?

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch den Paragraf 218 führt dazu, dass schwangere Personen immer noch oft stigmatisiert werden, wenn sie einen Abbruch vornehmen lassen möchten. Erfahrungsberichte von Betroffenen zeigen, wie tabuisiert Schwangerschaftsabbrüche noch immer sind. Und auch Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, werden kritisiert oder sogar bedroht.
Durch die gesetzliche Regelung im Strafgesetzbuch bleiben die Umstände wie Finanzierung und Versorgungslage für ungewollt schwangere Menschen prekär.

Die ELSA-Studie belegt zum ersten Mal, dass der größte negative Einflussfaktor auf das psychische Wohlbefinden von ungewollt Schwangeren die gesellschaftliche Stigmatisierung und die Hürden zu einem Abbruch sind – und räumt mit dem Mythos auf, nach dem die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen selbst die größte psychische Belastung sei.

Es braucht also unbedingt einen anderen Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen und als Grundvoraussetzung dafür eine gesetzliche Neuregelung. Dieser Meinung ist übrigens auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung: 75 % finden es nicht richtig, dass Schwangerschaftsabbrüche generell illegal sind.

Jetzt könnte mensch denken: Wenn die Sachlage doch so eindeutig ist, warum reden wir dann immer noch über Paragraf 218 anstatt ihn zu streichen? Eine berechtigte Frage, die wir gern weitergeben. Denn während SPD und Grüne angekündigt haben, Schwangerschaftsabbrüche entsprechend dem Rat von Expert*innen noch in dieser Legislaturperiode zu entkriminalisieren, mauert die FDP bislang. Und steht damit einer historischen Chance im Weg. Aber nicht mit uns: Wir starten eine Mailaktion. Wie ihr teilnehmen könnt, lest ihr im nächsten Abschnitt.

Am 28. September ist Internationaler Safe Abortion Day – so kannst du aktiv werden!

Unterstützt unsere Mailaktion an Justizminister Marco Buschmann (FDP): Da die FDP die Bemühungen, Paragraf 218 StGB endlich zu streichen, bislang blockiert, wenden wir uns ganz direkt an Justizminister Marco Buschmann. Und da kommt ihr ins Spiel, denn je mehr Menschen ihm schreiben, desto besser! Eine Mailvorlage, die ihr einfach kopieren oder individuell anpassen könnt, findet ihr hier.

My Voice, My Choice ist eine gesamteuropäische Initiative und sammelt derzeit 1 Million Unterschriften für ihre Petition für sichere und zugängliche Schwangerschaftsabbrüchen in ganz Europa. Weitere Informationen findet ihr auf ihrer Website – hier könnt ihr direkt die Petition unterschreiben!

Eine Petition für die Stärkung reproduktiver Rechte in Deutschland hat das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung gestartet und fordert die Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches. Die Petition richtet sich ganz explizit an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und Bundesfamilienministerin Lisa Paus.

Danke, dass ihr an unserer Seite steht und für eine gerechtere Gesetzgebung einsteht. 💜


Hilfreiche Statistiken und Quellen

  • Wie viele Schwangerschaftsabbrüche gibt es pro Jahr? Und wie viele Gynäkolog*innen bieten Schwangerschaftsabbrüche überhaupt an? Statistiken und Zahlen dazu findest du bei Mehr als du denkst – weniger als du denkst
  • Die ELSA-Studie, von der vorläufige Ergebnisse schon veröffentlicht wurden, belegt zum ersten Mal vollumfassend die Stigmatisierung und Versorgungsmängel von ungewollt schwangeren Menschen in Deutschland – und räumt mit Mythen rund um Schwangerschaftsabbrüche auf. 
  • Mitte April 2024 legte die Expert*innen-Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ihr Abschlussergebnis vor – und kam zu dem Schluss, dass die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur rechtlich möglich, sondern auch dringend notwendig ist. 
  • Die WHO empfiehlt, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren, auf Wartezeiten zu verzichten und eine gute Versorgung zu gewährleisten – ihre Stellungnahme dazu findet ihr hier
  • Die CarePreg Studie des UKE Hamburg untersucht ganz aktuell die Erfahrungen und Bedürfnisse von ungewollt Schwangeren in der Beratung und der medizinischen Versorgung.

Ungewollt schwanger – was mach ich jetzt?

  1. Nimm dir einen ruhigen Moment für dich und mach dir bewusst: Es zählt nur, was DU willst und gerade kannst. Nicht, was andere wollen.
  2. Emotionale Unterstützung tut trotzdem gut: Hast du einen Menschen in deinem Leben, der einfach nur zuhört? In vielen Orten bieten unabhängige, nichtreligiöse Beratungsstellen kostenlose psychologische Gespräche an.
  3. Informier dich über die Fristen, Möglichkeiten und staatlich anerkannte Beratungsstellen speziell für Schwangerschaftsabbrüche. Achte dabei auf Datenschutz.
  4. Such dir eine vertrauenswürdige, erfahrene und kompetente Praxis oder Klinik
  5. Bring am Tag der Behandlung ruhig deinen emotionalen Support mit. 
  6. Nach dem Eingriff braucht dein Körper Ruhe, vielleicht auch ein paar Tage. Hab Geduld mit dir und achte gut auf dich. 💜

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

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Bildquelle: Pinkstinks Germany e. V.