Wie viele tote Frauen braucht es noch?

TW: Tod und Schwangerschaftsabbruch

Eine Frau ist tot. Izabela war dreißig Jahre alt und starb nach stundenlangen Qualen in einem polnischen Krankenhaus an einer Sepsis, weil sich das medizinische Personal vor Ort durch die rigorosen polnischen Anti-Abtreibungsgesetze dazu veranlasst sah, ihr die notwendige Hilfe zu verweigern. Anstatt einen Abbruch vorzunehmen, warteten die Verantwortlichen den Tod des Fötus ab – und damit bis es längst zu spät war.

Izabela hinterlässt ihren Mann und ihre kleine Tochter. Der religiösen Rechten in Polen könnte das nicht gleichgültiger sein. Politiker der PiS Partei grinsen in Kameras und sprechen davon, dass das „Verbrechen der Abtreibung nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar“ wäre. Oder sie zucken mit den Schultern und stellen fest, „dass Frauen nun einmal bei der Geburt eines Kindes sterben können“. Währenddessen fordern radikale selbsternannte „Lebensschützer“ immer noch härtere Gesetze und Strafen für Betroffene.

Man muss sich das einmal vorstellen: Mitten in der EU gibt es ein Land, indem jedes Jahr weniger als 2000 legale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Dem gegenüber stehen schätzungsweise 200.000 Betroffene, die Abbrüche illegal oder im Ausland vornehmen lassen. Und das wird unter anderem mit Verweis auf ein anders EU-Mitglied gerechtfertigt, das durch seine liberale Abtreibungspolitik angeblich für Rekordzahlen bei Abbrüchen sorgt. Die Niederlande nämlich. Allerdings ist das – wie so viele „Argumente“ selbsternannter „Lebensschützer“ – eine infame Lüge. Die Niederlande gehören zu den Ländern mit den wenigsten Abtreibungen weltweit. Seit über 15 Jahren hat sich daran nichts geändert. Aufklärung, sexuelle Selbstbestimmung und Reproduktionsrechte sorgen eben nicht für steigende Abbruchraten, sondern schlicht und einfach für mehr Sicherheit und sozialen Frieden. Und weil sich Rechtskonservative in Deutschland wieder verstärkt radikalisieren…

… und die vorgeblich liberalen Kräften der nächsten Regierung Betroffenen dann lieber doch nicht ihre Rechte zugestehen wollen, …

… muss mit allem, was wir haben, dagegen gehalten werden. Mit Wut. Mit Protest.

Und mit Argumenten. Also:

Nein.

Es darf keinen Rechtsanspruch auf schwangere Körper geben. Niemand kann dazu gezwungen werden, Blut oder Organe zu spenden. Niemand wird zur Spermaabgabe oder zu einer Zwangssterilisation verpflichtet, nur weil es möglicherweise sinnvoll für die Bevölkerungspolitik wäre. Die Allgemeinheit hat dementsprechend kein Zugriffsrecht auf den Uterus, auch wenn sie sich genau das herausnimmt.

Nein.

Es geht nicht darum, einem Fötus Menschenrechte vorzuenthalten. Vielmehr sorgt das Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch dafür, dass ungeborenem Leben nicht auf Kosten von Betroffenen eine Art Hypermenschenrecht zugesprochen wird. Ein Fötus hat ebenso wenig Anspruch auf einen Uterus wie ich auf Blut, Knochenmark, Niere oder Herz meiner Mitmenschen.

Nein.

In diese Entscheidung hat niemand reinzuquatschen. Auch nicht mit Verweis darauf, dass er ja an der Zeugung beteiligt war und gerne Vater werden würde. Das wäre nämlich ungefähr so als hätten meine Eltern das Recht, meine Entscheidungen nicht nur zu hinterfragen, sondern sogar einzukassieren. Immerhin waren sie an meiner Zeugung beteiligt und haben einiges in mich investiert. Also darf ich mit meinen 41 Jahren jetzt diesen Job annehmen? Blut spenden? Kinder bekommen? Oder muss ich vorher um Erlaubnis bitten? So lächerlich diese Fragen erscheinen, so eigentlich lächerlich – in seiner ganzen Konsequenz jedoch furchtbar – ist es, Frauen zu entmündigen. Aber Menschen mit Uterus sind nun einmal mehrheitlich Frauen und die zu entmündigen hat schließlich Tradition.

Nein.

Die Religion hat dabei kein Wörtchen mitzureden. Und die katholische Kirche schon gar nicht. Weder ist sie in dieser Frage so eindeutig, wie sie den Anschein erwecken will, noch auch nur in irgendeiner Weise kompetent, darüber zu befinden. Die moralischen Ausführungen einer Institution, die allein in Frankreich seit 1950 330.000 Kinder sexuell missbraucht und Kinder „absichtlich in die Hände von Tätern gegeben hat„, sollten niemanden interessieren.

Nein.

Mit Straffreiheit ist es nicht getan. Schwangerschaftsabbrüche sind kein Verbrechen, sondern ein universell gültiger Anspruch Betroffener, dem endlich zum Recht verholfen werden sollte.

Nein.

Die „Adoptionslösung für alle“ (Schwangere könnten ihre Kinder später zur Adoption freigeben) ist keine Option. Selbst wenn es auf diesem Planeten irgendwo und irgendwann schon einmal eine Gesellschaft gegeben hätte, die allen Kindern die gleichen Chancen einräumt und damit auch den Kindern eigentlich abtreibungswilliger Betroffener, würde diese Möglichkeit Frauen immer noch zu Brutkästen degradieren.

Und nein, Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der Welt, ein Schwangerschaftsabbruch soll nicht normal erscheinen. Er ist normal und er war zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften normal. Normal im Sinne von: Notwendig. Relevant. Zum Leben dazugehörend. Oftmals unumgänglich.
Mit der vollständigen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen öffnen wir Abtreibungen nicht etwa Tür und Tor. Sie sind längst in unserer Mitte und genau da gehören sie auch hin. Stattdessen beenden wir damit die unzumutbare, unbegründbare Entrechtung von Frauen und übernehmen gesamtgesellschaftlich Verantwortung, anstatt Betroffenen über den Mund zu fahren und ihre Körper in Besitz zu nehmen.

Izabela ist tot. Was in Polen geschehen ist, ist weder menschlich noch mitfühlend. Und schon gar nicht verantwortungsvoll. Es ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit, auf dem das Leben dieser Frau geopfert wurde – nur um Recht zu behalten, anstatt es zu gewähren. Nur um Macht auszuüben, anstatt Selbstbestimmung zuzulassen. Nur um der eigenen Beruhigung in Verantwortungslosigkeit willen, anstatt Verantwortung zu übernehmen. All diesen Dingen gilt heute wie jeden Tag: Nein!

Übrigens:

Fast 170 Organisationen und Initiativen, darunter auch Pinkstinks, haben den Kampagnenaufruf „150 Jahre Widerstand gegen § 218 StGB – es reicht! Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch!“ unterzeichnet, der am 12. November an die demokratischen Parteien des neuen Bundestages übergeben wird.
Ebenfalls übergeben werden soll die Petition „Weg mit § 218: Abtreibung nicht länger im Strafgesetzbuch
regeln!„, die bisher von mehr als 80.000 Menschen unterschrieben wurde. Hier kannst du ebenfalls die Petition unterzeichnen: https://www.change.org/p/wegmit218-abtreibung-nicht-länger-im-strafgesetzbuch-regeln-wir-fordern-die-ersatzlose-streichung-des-paragrafen-218-als-straftat-und-rechtliche-regelungen-außerhalb-des-strafgesetzbuches

Auch diese Petition setzt sich gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen ein und verweist auf weitere Petitionen. Fast 150.000 Menschen haben schon unterschrieben: https://www.change.org/p/polish-government-legalise-abortions-in-poland-women-deserve-their-own-choice.

WIE KANN ICH MICH INFORMIEREN?

Sichere und hilfreiche Informationen zu Angeboten und Plattformen sind wichtig. Deshalb haben wir hier ein paar Links für euch gesammelt:

  • Gynformation ist ein queer-feministisches Kollektiv für gynäkologische Selbstbestimmung. Dort findet ihr eine Adressliste, die aus subjektiven Empfehlungen besteht. Sie beinhaltet Gynäkolog*innen, Hebammen, Endokrinolog*innen und gynäkologisch tätige Allgemeinärzt*innen. Ihr könnt auch selbst eure Empfehlung einreichen.
  • Auf Doctors for Choice Germany findet ihr nicht nur Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen, sondern auch zu Sexualität, Familienplanung und Reproduktion. Das Netzwerk aus Ärzt*innen, Studierenden und weiteren Menschen aus dem Gesundheitsbereich​ fordert Politik, Ärzt*innenschaft und Gesellschaft auf, sich aktiv für die Überwindung bestehender Hürden und Zugangsbarrieren im Bereich der reproduktiven Gesundheit einzusetzen. 
  • Mit Hilfe der Liste der Bundesärztekammer könnt ihr deutschlandweit Praxen suchen, die Schwangere in Konfliktsituationen beraten.
  • Auf der Website “Abtreibung in Deutschland” findet ihr unabhängige Infos zu Kosten, Ablauf, Unterstützung und den Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs. 
  • In der ZDF-Sendung MaiThink X fragt Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, wie gesund ist unser Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen ist und ob sich die Debatte darum wissenschaftlich lösen lässt.
  • In diesem Artikel von EDITION F findet ihr außerdem viele weitere Infos darüber, was man über Schwangerschaftsabbrüche wissen sollte.
  • Mehr zum Paragrafen 218 findest du auch bei uns – in unserem Artikel WEG MIT §218.

Hier bekommst du Hilfe:

Du bist ungeplant oder ungewollt schwanger und suchst Hilfe? Gute Anlaufstellen sind zum Beispiel profamilia oder die Hilfsangebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Bundesministeriums (für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Das Hilfetelefon “Schwangere in Not” erreichst du anonym und sicher unter der Nummer 0800 – 40 40 020. Auf der Website Schwanger und viele Fragen (BzgA) findest du auch eine anonyme Onlineberatung. 

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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Bildquelle: Zuza Gałczyńska/Unsplash