Flirten nach #MeToo

Über Flirtverhalten haben wir an dieser Stelle schon häufiger geschrieben. Die Frage, wie Männer und Frauen auf Augenhöhe Beziehungen anbahnen können, beschäftigt die Feuilletons nicht nur dieser Republik spätestens seit dem Einsetzen der #MeToo Debatte. Viele Menschen waren plötzlich sehr besorgt: Wie soll das nur funktionieren zwischen Männern und Frauen, wenn vorher so viele Regeln und rote Linien eingezogen werden? Da kann man ja nie wieder miteinander flirten. Oder sollen jetzt etwa die Frauen die Initiative ergreifen? Können die das überhaupt? Und falls ja, wollen die das? So mutmaßte die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff Anfang 2019 in einem Essay für die Welt, dass gendergerechtes Flirten nicht hinhaue, weil der Eros nun einmal seine Launen und Abgründe habe: „Männer wissen oft nicht mehr, was sie sagen und wie sie es sagen sollen, wenn sie eine Frau begehren. Die Krux ist: Sie werden zu unentschlossenen Hasenfüßen. Doch der durch und durch gezähmte Mann, der nichts riskiert, ist so erotisch wie eine Blindschleiche.“
Außerdem wäre ihr in den Berliner Cafés aufgefallen, dass die jungen Leute deshalb nichts mehr miteinander „erotisch riskieren“ würden. Die Annahme der absolut verunmöglichten Flirtkultur ist weit verbreitet. Einerseits beinhaltet einige Kritikpunkte, die sehr bemerkenswert sind. Zum Beispiel den, dass wir bislang tatsächlich vor allem darüber reden, wie etwas nicht getan werden sollte, statt uns darüber zu unterhalten wie man es nun macht. Andererseits kann man gerade am Beispiel von Sibylle Lewitscharoff zeigen, wie kurzsichtig und überfordert diese Annahme ist. Überfordert, weil ihr scheinbar vollkommen entgangen ist, wo junge Leute heute „erotisch etwas riskieren“. Der Grund dafür, dass sie das kaum in Cafés tun heißt nicht #MeToo sondern Tinder.
Kurzsichtig, weil sie übersieht, was leider viel zu häufig die Ausgangssituation innerhalb des Flirtens ist, von der wir uns gesellschaftlich wegbewegen sollten. Nämlich diese hier:

Eine Frau reagiert auf den Wunsch eines Mannes, sie kennenzulernen, mit der denkbar freundlichsten Absage. Anschließend bezeichnet er sie als „hässliches Fickstück“ und als „fette Schlampe“. Außerdem fordert er sie auf, sich zu erhängen. Männer, die auf eine eigentlich vollkommen angemessene Ablehnung so oder ähnlich reagieren scheinen nicht der Ausnahme-, sondern leider eher der Regelfall zu sein. Männer also, die nach einer mehr oder weniger netten Interessensbekundung bei Ablehnung sofort auf Beleidigung und im schlimmsten Fall sogar auf Gewaltandrohung schalten. Sind das etwa die „Launen und Abgründe des Eros“, die wir nun einmal hinzunehmen haben?

Dieses Schlampenparadoxon? Wenn du als Frau auf einen Annäherungsversuch eingehst, bist du eine Schlampe, und wenn du nicht auf meinen Annäherungsversuch eingehst, dann bist du auch eine Schlampe. Was ist denn das bitte für eine „Kulturtechnik des Flirtens“, um die es schade sein könnte? Denn ja: Wenn wir darüber reden (und das sollten wir tatsächlich unbedingt auch weiterhin tun), wie die Feinheiten des Flirtens zwischen Männern und Frauen funktionieren können, dann können wir nicht ausklammern, was an übergriffigen Grobheiten diesem Flirtverhalten zugrunde liegt. Gerade darum geht es bei #MeToo ja: Um übergriffiges Verhalten, Machtmissbrauch und Gewalt. Flirten beinhaltet immer auch die Möglichkeit, Ablehnung zu erfahren und mit dem Wunsch nach Kontakt zu scheitern. Und gerade weil wir tatsächlich eine Kultur des Flirtens haben, die darauf basiert, dass Männer den ersten Schritt machen, sollten wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen, welche Optionen wir Männern an die Hand geben, um mit einer solchen Ablehnung umzugehen. Bislang wird nämlich zumeist nur über die andere Seite gesprochen: Wie sagt frau ihm, dass sie kein Interesse hat, ohne dass er vollkommen ausrastet? Die „Ich habe einen Freund/Ehemann“ Karte muss dabei von Frauen viel zu oft gezogen werden.

Warum also? Wieso braucht es diese Karte überhaupt? Warum muss frau sich erst als Eigentum eines markieren, damit ein interessierter Mann seine Besitzanspruchsphantasien aufgibt? Es gibt Antworten auf diese Frage, sie werden nur zu selten genannt, weil die Frage kaum gestellt wird. So neigen Männer laut Studien beispielsweise dazu, das Interesse einer Frau an ihnen stark zu überschätzen und ihre Körpersprache falsch zu deuten.
Sich im besagten Café aufzuhalten, heißt nicht, dass sie Interesse hat. Dass sie in der U-Bahn ein Buch liest, gut aussieht und er in der Grundschule auch mal Lesen gelernt hat und auf gut aussehende Frauen steht, heißt nicht, dass sie Interesse hat.
Bleibt noch der Umgang mit einer Abfuhr. Eines der wenigen Bücher, die sich mit diesem Thema aus Sicht von Betroffenen befassen, ist das 2010 erschienene „Abgeblitzt“ des Journalisten Sebastian Leber.

Leber beschäftigt sich darin weniger mit den Abfuhren auf eine Spontananmache als auf längerfristige Flirts und Beziehungsanbahnungen. Das Ergebnis ist trotzdem aufschlussreich – auch wenn wir damit immer noch nicht an den Beschimpfungen sind, noch nicht. „Abfuhren“, findet Leber, „zählen offenbar zu den extremsten Grenzerfahrungen, die ein Mann in seinem Leben durchstehen muss.“ Seine Gesprächspartner schildern sie ihm als die ultimative Niederlage. Besonders interessant wird es, wenn Leber berichtet, dass Männer als Reaktion auf sein Buch wissen wollten, „was das denn für ’ne Softie-Scheiße ist„. Und noch interessanter, wenn Leber seine Gesprächspartner in Interviews aufgrund ihrer Reaktionen als „Jammerlappen“ bezeichnet. Es geht also, Überraschung, um Männlichkeit. Darum, dass Ablehnung, nicht zum Zug kommen, keine Eroberung einleiten, nicht den Stich machen, nicht von gängigen Männlichkeitsvorstellungen gedeckt sind. Von Frauen, denen mann zuvor sein Interesse bekundet hat, einen Korb zu kassieren, muss er sich in diesem Zusammenhang „entmannt“ fühlen. Ein „Das ist nett, aber nein Danke“ auf ein „Ich will dich kennenlernen/mal treffen/gerne vögeln hört sich so offenbar für viele wie ein „Was bist du denn für ein widerlicher kleiner Fickwichtel, wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass ich ausgerechnet an dir Interesse haben könnte“ an. Obwohl das nie gesagt, und oft nicht mal gedacht wurde. Auf die Gefahr hin wie eine alte Leier zu klingen:

Es hilft nichts, wir müssen an unsere Männlichkeitskonzepte ran. Es kann nicht die Lösung sein, von Frauen zu erwarten, derlei Übergriffigkeiten einfach hinzunehmen. „Du bist hässlich, du Fotze!“ sollte sich keine Frau anhören müssen. Auch nicht von jemandem, der sie bis gerade eben immerhin noch ansehnlich genug fand, um sie anzubaggern. Eigentlich schreien Männer „Hör auf mir klarzumachen, wie unbedeutend ich bin, das macht mich echt fertig“.
Es ist unsere Aufgabe, mehr von Männlichkeit zu fordern und sie besser zu gestalten. Aufzuzeigen, warum es einen gar nicht so fertig machen muss, einen Korb in einem beiläufigen Flirt zu bekommen. Leber beispielsweise tut das mit seinem Buch. Und vor allem anderen klarstellen, dass das Minderwertigkeitsgefühl, das durch das Scheitern an stereotypen Männlichkeitskonzepten entsteht, nicht gegen Frauen verwendet werden darf.
Das kann, nein das darf nicht so schwer sein. Einfach „OK, ich hatte mich darauf gefreut, dich kennenzulernen“ zu sagen, wenn sie kein Interesse hat. Oder „Schade, dann noch einen schönen Abend“. Oder „Ich hätte mich geärgert, wenn ich nicht zumindest gefragt hätte“. Oder nix. Weg vom Prinzip, wenn du mir nicht zu Willen bist, dann werte ich dich ab. Das muss doch möglich sein.

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